Unter dem Eis
dass die linke Fahrspur ihm und den wenigen anderen Fahrern vorbehalten bleibt, die Tempo 180 für eine angemessene Mindestreisegeschwindigkeit halten. Im Präsidium kassiert Manni von Thalbach ein Lob für seinen Bericht vom Vortag, gut, dass er den gestern noch fertig gemacht hatte, bevor er ins Krankenhaus fuhr. Überhaupt gewinnt die Vermisstensache Jonathan Röbel zunehmend an Drive. »Wo ist Jonny?«, titelt der Kölner Express neben einem herzerweichenden Foto des Jungen und seines Dackels, auch die anderen Medien haben die Suchmeldung brav übernommen, wenn auch nicht so groß aufgemacht, aber das dürfte reichen, der »SOKO Jonny« endlich ein paar Zeugenaussagen von Spaziergängern, Joggern und wer weiß wem noch zu bringen, die sich am Sonntag im Königsforst aufgehalten haben. Irgendjemand muss etwas gesehen haben.
Sie kommen überein, dass die Bruckner das Telefon hütet, und kurz darauf ist Manni on the road zum Rastplatz Königsforst, eine Flasche Cola neben sich auf dem Beifahrersitz, Technobeat im Ohr und höchst zufrieden, dass er dank seiner weisen Voraussicht vom Vorabend diesmal nicht mit einer Schrottmühle unterwegs ist, sondern mit einem Vectra. Der gleitet zwar nicht so butterweich über die Straße wie seineigener GTI, aber immerhin, denkt Manni, während er sich das erste Fisherman’s des Tages zwischen die Zähne schiebt, immerhin.
Der Autobahnrastplatz sieht noch genauso öde aus wie gestern, Mr Snacks Imbisswagen ist immer noch verrammelt, aber die Hundestaffel ist schon da und auch ein Bus von der Spurensicherung.
»Hey, Sportsfreund!« Mike gibt Manni einen Klaps auf die Schulter. »Siehst blass aus. Schlechte Nacht gehabt?«
»Keine Zeit zum Schlafen.«
»Neue Flamme?«
»Life’s no picnic.« Manni zwingt sich zu einem anzüglichen Grinsen. Falls er jemals wieder in den Biergarten kommt, hat garantiert schon irgendein anderer Typ Miss Cateye beglückt, aber das muss er dem Kollegen ja nicht auf die Nase binden. Er sieht sich um. »Also, wie gehen wir vor?«
Mike krault seinen Schäferhund hinter den Ohren. »Wir haben uns aufgeteilt: Sechs Männer beginnen hier, die anderen machen da weiter, wo sie gestern aufgehört haben, bei der Hütte. Etwa auf halber Strecke müssten wir uns dann treffen.«
Karin von der Spurensicherung winkt Manni zu sich. »Sieht so aus, als hätten wir in der Hütte DNA sichergestellt. Speichelreste am Strohhalm einer leeren Getränketüte. Hautpartikel. Sollen wir einen Abgleich machen?«
Die Chance, dass die Spuren von Jonny stammen, ist denkbar gering. Trotzdem, wenn sie beweisen können, dass der Junge in der Hütte war, vielleicht sogar, dass er es war, dessen Angst die Hunde erschnüffelt haben, sind sie einen Schritt weiter. »Macht mal«, sagt Manni. »Wie heißt es so schön: Im Moment klammern wir uns an jeden Strohhalm. Oder habt ihr noch was Besseres?«
»Vielleicht ein paar Hundehaare, die passen könnten.«
»Ab damit zu Karl-Heinz Müller.«
»Der wird begeistert sein.«
Einer der Hundeführer stößt einen wüsten Fluch aus, vermutlich ist er in eine der Fäkalien-Tretminen gelatscht, die frischluftvernarrte Mitbürger hinter den Sträuchern so reichlich hinterlassen haben. Manni nickt Karin zu und stapft zu den misshandelten Büschen. Manchmal ist es besser, nicht zu lange drüber nachzudenken, was Ermittlungsarbeit so alles beinhaltet. Weiß der Himmel, was sie hier in den nächsten Stunden noch an Scheiße aufwühlen werden.
Tims Beine fühlen sich an, als seien Tauchgewichte drangeschnallt, jeder Tritt in die Pedale seines Mountainbikes kostet Überwindung. In der Nacht hat er geträumt, dass er im Meer schnorchelt. Aber anders als sonst war das kein schönes Gefühl. Er hat die Orientierung verloren, dann hat ihn etwas in die Tiefe gezogen, weg vom Licht. Er hat in einem stummen Schrei den Mund geöffnet, was unter Wasser natürlich idiotisch ist. Trotzdem hat er es gemacht. Und dann ist er davon aufgewacht, dass seine Mutter über ihm lehnte und an seiner Schulter rüttelte, weil er tatsächlich schrie. Klatschnass und vollkommen fertig war er. Und heiser außerdem.
Seine Beine werden immer schwerer, je näher er der Schule kommt. Kurz vor dem Bahnübergang nimmt er aus dem Augenwinkel einen Schatten wahr. Im nächsten Moment tritt ihm jemand von der Seite so fest gegen das Schienbein, dass er vor Schmerz beinahe die Kontrolle über sein Rad verliert.
»Moin, Rinker, du alter Stinker!« Lukas aus Tims Klasse radelt
Weitere Kostenlose Bücher