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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Genetiker.«
    »Wie Charlottes Vater.« Auf einmal hat Judith das Gefühl, dass etwas ihr die Kehle zuschnürt. Beherrsch dich, beschwört sie sich stumm, du bist nicht schuld daran, dass Charlottes Vater und dieser arrogante kanadische Professor und weiß der Himmel wer noch Charlotte enttäuscht haben. Sie räuspert sich.
    »War Charlotte jemals hier in Cozy Harbour?«
    Wieder der fliegende Blick zur Arbeitszimmertür. »Nein.«
    Sie glaubt ihm nicht, aber auch mit noch mehr Lächeln, einigen Komplimenten und einer weiteren Runde des alten Frage-und-Antwort-Spiels, schafft sie es nicht, Atkinson zuknacken. Und vielleicht gibt es ja auch gar nichts zu knacken, vielleicht sind ja wirklich die Eistaucher der Schlüssel, vielleicht ging es Charlotte tatsächlich nur um sie. War es das, was der Eistaucher aus Judiths Traum ihr mitteilen wollte? Nein. Der starre rote Blick war eine Warnung, vielleicht auch ein Hilferuf.
    »Wo ist Charlotte jetzt?«, fragt sie Atkinson.
    Der Professor schüttelt den Kopf, offensichtlich erleichtert, dass das Gespräch zu Ende geht. »Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung.« Er steht auf. »Ich muss mich jetzt um meine Familie kümmern. Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrem Wagen.«

    22.30 Uhr. Sie ist zu Tode erschöpft und trotzdem hellwach. Martina Stadler schiebt die Decke beiseite und greift nach Jonnys Taschenlampe, die auf ihrem Nachttisch liegt. Im Gästezimmer ist die Luft noch stickiger als im Schlafzimmer. Leise schließt sie die Tür hinter sich ab und lauscht. Von nebenan kommt kein Laut, Frank schläft. Noch vor einer Woche hätte sie bedenkenlos geschworen, dass ihr Mann nie und nimmer zu einem Verbrechen fähig wäre. Jetzt ist sie sich nicht mehr so sicher. Ein weiterer Tag ist vergangen, so unerträglich wie alle Tage, seit Jonny verschwunden ist. Wieder hat der blonde Kommissar wissen wollen, wo Frank am Samstagnachmittag gewesen ist. Wieder hat Frank verbissen geschwiegen. Schütteln hat sie ihn wollen, anschreien, aber dann fehlte ihr die Kraft dazu.
    Sie legt Jonnys Heiligtum auf den Schreibtisch und schaltet die Tischlampe mit dem flaschengrünen Glasschirm an, ein Erbstück von Franks Großvater. Zögernd zieht sie Schubladen auf, schiebt sie wieder zu. Nur Büromaterial, das Frank und sie gemeinsam benutzen. Sie hat sich nie zuvor Gedanken gemacht, wo Frank etwas vor ihr verstecken könnte. Sie öffnet den Wandschrank, in dem sich mehr oder weniger ordentlich beschriftete Kisten stapeln, die Franks Modellbauutensilien enthalten. Bevor Jonny zu ihnen gezogen ist, ging Frank untenim Souterrain seinem Hobby nach und diese Dachstube hier war Martinas Reich. Sie hatten Jonny wählen lassen, welches Zimmer er gern haben wollte, er hatte sich für den Keller entschieden, also hatten sie für Frank den Einbauschrank anfertigen lassen, den Sekretär von Martinas Großmutter ins Schlafzimmer geschoben und Franks riesigen Schreibtisch vom Keller unters Dach geschafft. Hat es damit angefangen? War dieser Verzicht der Beginn einer lang unterdrückten Bitterkeit, die zu Hass geworden ist, ohne dass sie es bemerkte?
    Sie öffnet Kisten, verschließt sie wieder. Was sucht sie hier eigentlich? Ein blutiges Messer? Lächerlich. Ein Tagebuch, in dem das notiert ist, was der blonde Kommissar zu wissen glaubt: dass Frank Dr. D. gehasst hat, den Dackel und vielleicht auch Jonny loswerden wollte? Aber Frank ist nie ein Mann der Worte gewesen. Geld, denkt sie. Das würde ich jedenfalls einer anderen Frau raten, die plötzlich nicht mehr weiß, ob sie ihrem Mann trauen darf. Kontrollieren Sie sein Handy. Kontrollieren Sie seine E-Mails. Und vor allem: Kontrollieren Sie sein Bankkonto. Sie schaltet den Computer ein, der mit zu lautem Piepen zum Leben erwacht. Kann Frank das nebenan hören? Sie schleicht zur Tür und lauscht angestrengt. Nichts.
    Frank und sie haben eine gemeinsame E-Mail-Adresse, die eigentlich nur sie benutzt, weil er noch einen Account in der Firma hat. Auch das gemeinsame Girokonto hält keine Geheimnisse bereit, wie üblich ist es nur knapp im Plus. Bleiben noch die Kreditkarte und das Tagesgeldkonto. Nach zehn Minuten hektischen Suchens erinnert Martina sich endlich, wo Frank die Zugangsdaten aufbewahrt. Mühselig tippt sie die ellenlangen PIN- und TAN-Nummern in diverse Internetformulare. Dann, endlich, wird ihre Anmeldung akzeptiert. Sie klickt auf »Kontoübersicht« und fühlt, wie ihr Herz zu rasen beginnt. Das Geld auf dem Tagesgeldkonto ist ihre

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