Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
Tränen in den Augen und plötzlich wich auch der Rest Farbe aus ihrem Gesicht. Gerade rechtzeitig gelang es ihr, aufzuspringen und sich keuchend im Unterholz zu übergeben. Mit unsicheren Schritten wankte sie zurück zum Feuer.
Alexander griff ihr unter die Arme, drückte sie sanft auf ihren Platz vor dem Feuer zurück, und als er sah, dass sie erneut heftig zu zittern begann, pfiff er Oskar zu sich. Der riesige schwarze Hund drückte sich ohne zu zögern dicht an sie und langsam, ganz langsam ließ das Beben nach.
»Anna, du musst dich beruhigen, bitte. Was ist denn nur los mit dir?«
»Ich habe Angst, Alexander. Es ist, als ob mir das Steuer aus den Händen gleiten würde. Nicht zum ersten Mal …« Sie hielt inne, schüttelte den Kopf und schien einen Gedanken beiseitezuschieben. Schließlich wischte sie sich mit dem Ärmel über den Mund und sah erschöpft auf die leere Feldflasche.
Alexander war ihrem Blick gefolgt und hob die Flasche auf. »Ich hole frisches Wasser, Anna. Bin sofort wieder da.« Schon hatte er nach einem Ast gegriffen und ihn ins Feuer gehalten. Es war inzwischen stockdunkel und ohne Fackel würde er unmöglich den Weg durch das finstere Unterholz finden.
»Nein, bitte geh nicht.«
Überrascht drehte er sich um.
Anna senkte verlegen ihren Blick. »Ich glaube, ich habe lieber ein bisschen Durst, als noch mal«, sie hustete betreten, »als noch mal allein hier in der Dunkelheit zu warten.«
Alexander nickte wortlos und legte die Flasche vorsichtig in ihrer Nähe auf den Boden. Er setzte sich neben Oskar und blickte stumm ins prasselnde Feuer. Als die Stille zu laut wurde, räusperte er sich und warf noch einige Stücke Holz nach. »Es ist nicht nur die Dunkelheit, nicht wahr?« Alexander kraulte Oskars Fell, der Wohlfühlgeräusche von sich gab. »Wenn du möchtest, ich bin ein guter Zuhörer. Oskar auch. Und wir sind verschwiegen, beide.«
Zweimal hatte sie den Mund geöffnet und wieder geschlossen, bevor sie schwach lächelte und den Rücken straffte. »Vielleicht ein andermal.«
Lange saßen sie schweigend am Feuer, und als Annas Kopf zum zweiten Mal vor Müdigkeit nach vorn kippte, hob Alexander sie entschlossen hoch, trug sie zu ihrem behelfsmäßigen Unterschlupf und legte sie vorsichtig hinein. Unwillkürlich musste er schmunzeln. Anna schlief tief und fest. Sie war weder aufgewacht, als er sie hochgehoben, noch als er sie auf das raschelnde Blätterbett gelegt hatte. Sie sah unschuldig und zufrieden aus, so wie alle Schlafenden. Er schnalzte mit der Zunge. Doch Oskar war ihnen bereits gefolgt, und ehe Alexander ihm den Befehl geben konnte, sich neben Anna zu legen, hatte sich der gewaltige Hundekörper bereits an sie geschmiegt.
»Gut so, Kumpel. Halt sie warm.«
Gedankenverloren kehrte Alexander zum Feuer zurück. Auch er war todmüde, doch irgendetwas verbot ihm, sich ebenfalls schlafen zu legen. Lustlos stocherte er mit einem Stock in der dunkelroten Glut herum. Tausende sternförmige Funken sprühten zischend nach oben und verschwanden über dem dunklen Blätterdach. Er zog sein kleines Taschenmesser aus der Hosentasche, klappte es auf und grinste. Ebenso gut hätte er mit einem Zahnstocher bewaffnet sein können. Mit diesem winzigen Messerchen würde er hier nicht viel ausrichten. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, war es nur eine Frage der Zeit, bis ihm der ein oder andere Bekannte aus seinen Träumen über den Weg lief, hoffentlich eher später als früher. Er warf noch einige Äste ins Feuer. Es verbrannte viel schneller, als er angenommen hatte. Wenn es heruntergebrannt war, würde er noch einmal Holz nachlegen und sich dann zu Anna in seinen provisorischen Unterschlupf zurückziehen und Oskar davor positionieren. Sein treuer Gefährte warnte ihn rechtzeitig vor jeder Gefahr. Alexander atmete tief durch. Jetzt hatte er zumindest einen Plan für die nächste Stunde. Bislang überschlugen sich die Ereignisse minütlich und beanspruchten ihn derart, dass er erst jetzt spürte, wie erschöpft er selbst war. Auch seine Reserven gingen langsam zu Ende. Ja, er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, aber es hatte schon beschwerlichere Momente in seinem Leben gegeben, und nie war er so ausgepumpt gewesen wie jetzt. War es möglich, jeden Knochen und jede Faser des Körpers zu spüren? Unruhig schritt er den Wald am Rande des Feuerscheins ab und spähte schließlich in die Finsternis. Das unangenehme Gefühl wollte einfach nicht verschwinden. Nichts war zu
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