Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
Ihre flachsblonden Haare hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten und nun verschwitzt an ihrer Stirn klebten. Was zum Teufel fehlte ihr nur? Für heute hatte er genug von bewusstlosen Frauen. Er musterte sie kritisch, sie trug eine hellbraune wildlederne Hose und ein sandfarbenes baumwollenes Oberteil. Anna fiel ja schon mit ihrer abgetragenen Jeans auf, aber diese Kleidung passte nun wirklich nicht dorthin, wo er heute Morgen aufgebrochen war. Ob sie hierher gehörte? Alexander griff nach seiner Fackel und hielt sie prüfend über die junge Frau. Als das Licht über ihre geschlossenen Augen wanderte, bewegte sie sich. Schwerfällig drehte sie sich auf die Seite und wimmerte.
»Hallo?« Außer einem erneuten Stöhnen bekam Alexander keine Antwort. »Hallo, können Sie mich hören?«
Ihre Muskeln erschlafften. Alexander steckte die Fackel erneut in den Boden, griff vorsichtig nach ihrer Schulter und drehte sie behutsam wieder auf den Rücken. Das ungute Gefühl in der Bauchgegend kehrte zurück, als er etwas Feuchtes an seinen Fingern spürte. Warm und klebrig. Blut. Erneut ließ er das flackernde Licht über die leblose Gestalt vor ihm gleiten. Unterhalb ihrer linken Schulter zeichnete sich ein handflächengroßer runder Fleck ab, braunrot und matt glänzend. Alexander kniete sich auf den Boden, legte das Messer zur Seite und strich der Verletzten sacht über das verschwitzte Gesicht. Nichts. Also gut, bei Anna hatte es ja vorhin auch geholfen. Vorsichtig schlug er ihr auf die Wange. Sie murmelte etwas Unverständliches, stöhnte, doch ihre Augen öffnete sie nicht. Alexander seufzte. Dann eben ein wenig fester. Er versuchte es noch mal und ebenso wie Anna missfiel das der jungen Frau. Doch bei dem Versuch ihren Arm zu heben, zog sie scharf Luft ein und ließ ihn erschöpft wieder sinken. Sie blinzelte, die blauen Augen glänzten fiebrig.
»Können Sie mich verstehen?«
Sie nickte leicht.
»Sind Sie allein?« Sicherheitshalber griff er erneut zu seinem Messer. Er blickte sich um und lauschte, doch außer dem sanften Rauschen der Blätter war es still. Oskar hatte sich entspannt zu seinen Füßen niedergelassen, die junge Frau nickte und so versuchte er es mit einem kurzen Lächeln.
»Ich bin Alexander.«
Irgendwann musste sie doch mal sprechen.
»Naomi«, flüsterte sie.
Na also, es ging doch.
»Gut, Naomi, ich würde mir gern einmal Ihre Verletzung ansehen.«
Ihr flüchtiges Blinzeln nahm er als Zustimmung und betrachtete nachdenklich ihr baumwollenes Oberteil. Es hatte keine Knöpfe.
»Wenn ich das Hemd am Ausschnitt ein wenig einschneide, dann können Sie es wenigstens anbehalten. Oder haben Sie noch etwas anderes zum Anziehen dabei?«
Was für eine blöde Frage, sie würde wohl kaum mit Koffer und Handgepäck hier mitten in der Nacht umherirren. Er redete immer ein bisschen zu viel, wenn er unsicher war oder ihn etwas aus dem Gleichgewicht brachte. Und im Moment fühlte er sich restlos überfordert. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er ihr helfen, geschweige denn die Wunde versorgen sollte. Schließlich war er Schreiner und kein Arzt. Egal, dann musste er sich eben auf seine spärlichen Erste-Hilfe-Kenntnisse und sein Gefühl verlassen. Vorsichtig schnitt er das Hemd am Halsausschnitt ein, schob es über die verletzte Schulter und atmete tief durch. Seine Hände bebten. Eine solche Verletzung hatte er schon einmal gesehen. Er erinnerte sich nur zu gut an den jungen Wehrmachtssoldaten, der sich verletzt in seine Straße und schließlich in sein Haus verirrt hatte. Sie hatten ihn gut zwei Wochen versorgt und versteckt. Seine Mutter hatte ihn gesund gepflegt. Alexander schüttelte sich, nein, bloß nicht daran denken. Das hier war keine Schussverletzung. Etwas Spitzes musste sich in ihre Schulter gebohrt, sie aber nicht vollständig durchdrungen haben. Alexander sah genauer hin, auch ein Fremdkörper war nicht zu erkennen. Die Wunde blutete nicht mehr stark und war auch nicht besonders groß, ein Zentimeter Durchmesser vielleicht. Er drehte Naomi, die mit teilnahmslosen, glasigen Augen durch ihn hindurchsah, behutsam auf die Seite und untersuchte vorsichtshalber ihren Rücken. Er hatte richtig vermutet. Was auch immer geschehen war, das hier war nur eine zugegebenermaßen ziemlich tiefe Schnittwunde. Ein Messer vielleicht? Kritisch ließ er seinen Blick nochmals über die junge Frau gleiten. Er konnte sie unmöglich hier zurücklassen,
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