Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
verscheucht die wilden Tiere«, sagte er lächelnd.
Anna kannte die Melodie nicht, die er dem Instrument entlockte, doch es war egal. Die sanften Töne beruhigten ihre zugegebenermaßen stark strapazierten Nerven. Nur zu gern ließ sie sich ein wenig forttragen. Irgendwann legte er die Gitarre zur Seite und das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden.
»Und jetzt, Anna Peters, sollten wir uns ein wenig unterhalten.«
Kapitel 5
Nachtlager
» D u hast es gewusst? Du hast es tatsächlich gewusst.« Erst Frage, dann ernüchternde Erkenntnis, kaum mehr als ein Flüstern, und doch bebte ihre Stimme vor Zorn. Anna war kreidebleich, doch nicht einmal kräftiges Ein- und Ausatmen schien zu helfen.
»Anna, du musst dich beruhigen, bitte.« Er griff nach ihrer Hand, doch sie fuhr bei seiner flüchtigen Berührung zusammen, als hätte sie auf eine heiße Herdplatte gefasst.
»Rühr mich nicht an, Alexander, rühr mich nicht an!«
Die Drohung in ihrer leisen Stimme war nicht zu überhören. Schicksalsergeben erhob sich Alexander und lief rastlos vor dem prasselnden Feuer auf und ab. Gelegentlich warf er einen Blick auf Anna, die ihm zitternd den Rücken zugedreht hatte. Sie tat ihm leid, doch es war nicht seine Absicht gewesen, sie mitzunehmen, sie war ihm doch geradezu in die Arme gefallen. Fröstelnd hielt er seine Hände in die Nähe des Feuers. Es war kalt geworden, doch die Wärme der Flammen tröstete und beruhigte ihn ein wenig.
»Anna, bitte, sieh mich an.«
Keine Reaktion, hatte sie ihn überhaupt gehört? Alexander sah ihr stärker werdendes Zittern und musste an sich halten, nicht tröstend den Arm um sie zu legen. Höchstwahrscheinlich würde sie nach ihm schlagen, wenn er sich nur auf Armlänge näherte. Er verstand ihre Reaktion. Er hatte wenigstens ein wenig Zeit gehabt, sich auf das hier vorzubereiten, obwohl auch er nicht genau wusste, wo er sich befand oder was ihn erwartete.
Es hatte um die Weihnachtszeit angefangen. Alexander sah Dinge, die ihn furchtbar erschreckten und verunsicherten, im Endeffekt jedoch neugierig machten. Zunächst waren es nur Träume, einige Zeit später verfolgten ihn die Bilder wie blasse Schatten, auch wenn er nicht schlief. Und jedes Mal traf es ihn unvorbereitet. Er hatte versucht, Anna zu erklären, was eigentlich nicht zu erklären war. Er sah undeutliche Bilder, Farben, Umrisse. Doch mit jedem Traum nahmen sie an Klarheit zu, wurden fühlbarer, schärfer. Er fand sich in Landschaften wieder, die so atemberaubend schön waren, dass sein Herz schmerzte, wenn er aufwachte. Er spazierte durch duftende Wälder, groß und unberührt, nur sattes, tiefes Grün. Majestätische Berge mit schneebedeckten Gipfeln erhoben sich vor ihm und er entdeckte wunderschöne Seen mit kristallklarem Wasser inmitten bunter Blumenwiesen. Kurze Zeit später tauchten Tiere in den Wäldern auf, Rehe, Hasen und Vögel, und es fiel ihm immer schwerer, sich von seinen Träumen zu trennen. Die echten und lebendigen Bilder faszinierten ihn. Er war mehr als nur Beobachter, er befand sich mittendrin und konnte das Singen der Vögel, das Rauschen der Wälder und das Tosen der Ozeane nicht nur hören, sondern auch riechen, fühlen und schmecken. Dann jedoch erblickte er Kreaturen und Fabelwesen, die sich fern von jeglicher ihm vertrauten Realität befanden, und nun war er froh, geradezu erleichtert, wenn er aufwachte. Es waren keine undeutlichen Schatten mehr. Was er vor sich hatte, war echt und nah, und als er das erste Mal meinte, neben einem gewaltigen Drachen zu stehen, wünschte er sich, ein Buch in der Hand zu halten und es kurzerhand zuklappen zu können. Doch der Traum tat ihm diesen Gefallen nicht, er entließ ihn erst dann zurück in die Wirklichkeit, nachdem er Alexander hinlänglich mit bunten Details versorgt hatte. Er spürte den heißen Atem der riesigen Kreatur in seinem Gesicht, berührte unfreiwillig sein braungrünes Schuppenkleid und blickte angstvoll in die funkelnden, smaragdgrünen Augen. Alexander wollte davonlaufen, und als ihn der Traum endlich ziehen ließ, fand er sich keuchend auf dem kalten Fußboden neben seinem Bett wieder. Danach besuchten ihn noch andere Kreaturen in seinen Träumen, Einhörner, Greife und Tiere, denen er beim besten Willen keinen Namen zuordnen konnte und als die Angst schließlich der Neugier gewichen war, konnte er diese Wesen auch beobachten, wenn er wach war. Nicht so nahe und deutlich wie in seinen Träumen, doch besonders in dem
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