Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
in Oskars dichtes Fell. Er schüttelte sich ausgiebig und übersäte Anna mit Hunderten von kleinen Tropfen. Dann ließ er sich zufrieden an ihrer Seite nieder. Anna schloss die Augen und ließ ihre Gedanken von dem gleichmäßigen Plätschern des Baches, dem Zwitschern der Vögel und dem Rauschen des Windes davontragen. Als sie seufzend die Augen öffnete, fiel ihr Blick auf einen hellen Fleck an der anderen Uferseite. Eine sonnenüberflutete Lichtung. Anna blinzelte. Ein riesiger, blutroter Schatten streifte das Ufer. Sie neigte den Kopf zur Seite und hielt die Luft an. Ihr Blick folgte dem roten Schimmer, der über die Lichtung wanderte und verlosch. Furcht erfasste sie. Langsam richtete sie den Blick nach oben und atmete erleichtert auf. Nichts. Nichts außer strahlend blauem Himmel und blendender Sonne. Was zum Teufel war das … Sie ignorierte ihre Müdigkeit und durchquerte den Bach stelzbeinig. Die Sonne überschüttete die Lichtung geradezu mit Helligkeit und sie hielt schützend die Hand über die Augen. Anna stockte der Atem. Am Rande der Lichtung sah sie etwas weiß schimmern. Milchige, leicht gelbe Blüten. Mit schnellen Schritten lief sie auf den großen Busch zu und inhalierte die Luft regelrecht. Die Blütendolden dufteten schon von Weitem frisch und fruchtig. Nicht zu fassen, Holunderblüten. Wer hätte das gedacht? Es wäre doch gelacht, wenn sie damit das Fieber nicht ein wenig senken konnte. Anna blätterte in Gedanken in dem dicken Kräuterbuch ihrer Mutter. Es gehörte zu den wenigen Kostbarkeiten, die sie aus den Trümmern ihres Elternhauses retten konnte. Wie oft hatte sie darin gelesen, nur um sich Mutters Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Holunderblüten, schweißtreibend, entgiftend … Jedes Jahr war sie gemeinsam mit ihrer Mutter auf die Suche nach eben diesen weißen Blüten gegangen. Liebevoll pflückte sie eine Dolde und betrachtete die feinen, blassen, fünfzähligen Blütenblätter. Sie hatte etwa zehn der aufgeblühten Dolden gepflückt, als ihr ein kleiner Busch ins Auge fiel. Annas Herz tat einen verhaltenen Freudensprung. Noch besser, Salbei. Sie zupfte ein Blatt ab, zerrieb es zwischen Zeigefinger und Daumen und schnupperte selig. Mit dem Sud konnte sie die Wunde auswaschen. Anna sah sich um. Seltsam war es schon, ausgerechnet hier und so früh im Jahr diese Kräuter zu finden. Ob eine unsichtbare Hand sie hierher geführt hatte? Der rote Schatten vielleicht? Sie fröstelte und nicht zum ersten Mal war sie froh, dass Oskar sie begleitete. Den Hund ließ der kostbare Fund völlig unberührt. Er tobte bereits wieder vergnügt in der kalten Strömung des schmalen Flusses, war inzwischen pitschnass und hatte offensichtlich noch lange nicht genug von der eisigen Erfrischung. Anna pflückte rasch noch einige Salbeiblätter, füllte die Feldflasche und ein weiteres Ollaris-Blatt mit Wasser und durchquerte das kalte Nass ein zweites Mal.
Der Rückweg zu ihrem Lager wollte einfach kein Ende nehmen. Oskar hatte sich schweren Herzens von dem Bach getrennt und drückte sich nun nass, wie er war eng an ihre Beine. Drei Mal musste Anna eine Pause einlegen, sich hinsetzen und ausruhen. Alexander hätte sich wahrscheinlich über ihre schnaufende Atmung lustig gemacht, und obwohl sie nur im Schneckentempo vorankam, keuchte sie wie ein erschöpfter Marathonläufer kurz vor der Ziellinie. Ihr Herz pumpte so kräftig, als wollte es jeden Moment aus ihrer Brust springen. Als sie endlich den Rauch des Feuers erblickte, atmete sie erleichtert auf. Anna hängte die wassergefüllten Blätter an einen Ast und ließ sich erschöpft neben dem Feuer nieder. Sie schloss die Augen, um das lästige Schwindelgefühl zu verdrängen. Bald atmete sie ruhiger und ihr Pulsschlag verlangsamte sich. Die weißen Blüten und die schmalen Salbeiblätter lagen neben ihr auf dem Boden. Wenn sie nicht bald Naomis Fieber senken konnte, würde Alexanders Hilfe, falls er sie überhaupt fand, auf jeden Fall zu spät kommen. Anna atmete tief durch und erhob sich stöhnend. Sie hatte auf dem Rückweg genug Zeit zum Nachdenken und suchte nun zwei lange Astgabeln, die sie auf beiden Seiten des Feuers in den Boden rammte. Der lange Zweig, den sie in die Gabeln über das Feuer schob, passte genau. Zufrieden hängte sie die volle Flasche über das knisternde Feuer. Einige Holunderblüten gab sie gleich mit hinein.
Nun musste Naomi nur noch trinken, doch alle Versuche sie aufzuwecken, waren bislang fehlgeschlagen und die junge
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