Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
vor Einbruch der Dunkelheit das Haus ihrer Eltern erreichen, das einen Tagesritt entfernt lag. Eindeutig zu weit für ihren strapazierten Rücken. Sie brauchte eine Pause. Ablenken, sie musste sich ablenken und so ließ sie den Blick in die Ferne schweifen. Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte, als sie den Waldrand erreichten, doch beinahe war sie enttäuscht. Hätte Anna es nicht besser gewusst, so hätte man annehmen können, dass sie sich in der Nähe von Bauer Carlsons Hof befanden. Sicher, die breite Landstraße war verschwunden, doch auch hier gab es einen, wenn auch recht schmalen, lehmigen Weg, der sich anfangs noch am Wald entlangschlängelte. Auf der anderen Seite reihten sich endlos Wiesen an bestellte Felder, die sich in einem fort über das hüglige Land erstreckten, unterbrochen von dunkelgrünen Klecksen. Mehr Wald wahrscheinlich. Hin und wieder tauchten Häuser auf. Die meisten waren aus Holz gebaut und besaßen ein Reetdach. Doch die Bewohner dieser Behausungen waren ihnen bislang noch nicht begegnet. Missmutig starrte sie an Ronan vorbei, suchte den Horizont nach irgendwelchen Lebewesen ab. Menschen, Tiere, magische Kreaturen. Irgendetwas. Sie drehte sich vorsichtig zu Alexander um, aber vermied schnelle Bewegungen. Das fehlte noch, dass sie vor aller Augen vom Pferd stürzte. Wie schafften die anderen das nur? Alexander saß mit zusammengebissenen Zähnen hinter Glenn und machte ein finsteres Gesicht. Anna wusste, es gefiel ihm nicht, sich erneut das Pferd mit dem bärtigen Gefangenen teilen zu müssen. Nun saß er mit grimmiger Miene hinter dem Gefangenen, doch als er ihren Blick auffing, huschte ein kurzes, aufmunterndes Lächeln über sein Gesicht. Anna hielt sich verbissen am Sattelende fest, kerzengerade saß sie hinter dem Koloss, der vor ihr im Sattel hin und her schaukelte. Verzweifelt versuchte sie, so viel Abstand wie eben möglich zwischen sich und Ronan zu bringen.
»Hey, Erin, wie wär‘s mit einer kleinen Pause?«, rief Alexander und zwinkerte ihr zu. Ob er ihr ansah, dass sie gleich vor Erschöpfung vom Pferd fiel? Sie schenkte ihm ein zartes Lächeln und atmete tief durch.
Erin warf einen Blick nach hinten und nickte ihm kurz zu. Sie wies geradeaus, wo der Weg in Sichtweite eine scharfe Linkskurve machte. »Dort, Alexander.«
In wenigen Minuten hatten sie die Kurve erreicht und Erin lenkte ihre braune Stute in den Wald hinein. »Hier verläuft der Bach direkt am Waldrand, die Erfrischung wird uns guttun.«
Seufzend ließ sich Anna von dem gewaltigen Gesäß des Pferdes gleiten und war nicht überrascht, als ihre Beine unter ihr nachgaben und sie unbeholfen zu Boden fiel. Dieses Mal stand Alexander nicht neben ihr, um sie aufzufangen. Mühsam erhob sie sich und rieb über den schmerzenden Rücken. Plötzlich war Alexander an ihrer Seite.
»Alles in Ordnung?« Er griff ihr helfend unter die Arme und führte sie zu dem plätschernden Bach, an dem sie sich in das warme, weiche Gras sinken ließ. Die vergangenen Stunden waren ereignislos verlaufen, niemand hatte sie belästigt, keine Wölfe, keine Drachen oder andere Bösewichte. Während Nervosität und Anspannung nachließen, spürte Anna nun überdeutlich, wie schwach sie wirklich war. Es war ihr ein Rätsel, wie es ihr gestern überhaupt gelungen war, nach Kräutern für Naomi zu suchen und sich so lange auf den Beinen zu halten.
»Danke, Alexander. Ja, es geht. Ich bin nur furchtbar schlapp.«
Kleine Sorgenfältchen bildeten sich unter seinen Augen. Anna wusste, dass sie erst einen kleinen Teil des Weges bewältigt hatten und wenn sie ehrlich war, so graute ihr vor den restlichen Stunden, die sie auf dem Rücken oder vielmehr dem Hintern des Pferdes verbringen musste. Alexander warf einen raschen Blick in die Richtung der Schwestern.
»Bin sofort wieder da.«
Erin hatte ihren Arm um Naomis schmale Taille gelegt und versuchte, vom Pferd zu steigen, ohne zu riskieren, dass Naomi dabei hinunterfiel.
»Ich hab sie, Erin.«
Vorsichtig zog Alexander die geschwächte Frau aus dem Sattel, hob sie kurzerhand hoch und trug sie zu Anna an das grasbewachsene Ufer, an dem er sie behutsam zu Boden gleiten ließ. Prüfend legte er ihr die Hand auf die Stirn. »Nicht gut, du glühst. Gestern Abend ging es dir doch schon viel besser. Was ist das bloß für ein fieses Gift? Kannst du einen Moment auf sie achtgeben, Anna?«
Sie nickte. Naomi hatte die Augen geschlossen, darunter lagen dunkle Schatten, ihre Wangen waren leicht
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