Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
oder nutzt sie aus. Meistens lösen sich diese Probleme mit der Zeit von selbst. Manch einen zieht es von hier fort, dorthin, wo ihr herkommt, und manch einer muss zur Vernunft gebracht werden.«
Sie griff nach der halb vollen Whiskeyflasche, nahm einen ordentlichen Schluck, dieses Mal ohne zu husten, und kehrte zum Thema zurück. »Vor vielen Jahren lebte, nicht weit von diesem Wald entfernt, ein außerordentlich begabter Magier. Er wohnte in einem kleinen Haus mit seiner Frau, die ihn verehrte und liebte. Oft hatten sie Besuch, denn der Magier wurde häufig um Rat gefragt oder um Hilfe gebeten. Er verstand sich auf die Zauberkunst wie kein anderer. Sein ganzer Stolz waren seine zwei Kinder, Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen. Es heißt, die beiden waren unzertrennlich. Nie wurde der eine ohne den anderen gesehen. Sie hatten kaum Freunde, aber sie suchten auch keine, zogen die gegenseitige Gesellschaft vor. Man sagt außerdem, dass sie das Talent ihres Vaters geerbt hatten. Stundenlang konnten sie sich mit Magie und Zauberei beschäftigen, waren befreundet mit Drachen, Pixies und allen möglichen magischen Gestalten. Dann wurden Gerüchte laut, dass das Mädchen begann, eine dunkle Seite zu entwickeln. Sie nutzte Geschöpfe aus, misshandelte sie und fing an, sich für gefährliche, giftige Pflanzen zu interessieren. Ihr Bruder soll immer wieder versucht haben, sie auf den richtigen Weg zu bringen. Vergeblich. Regelrecht besessen schien sie von der Idee, immer gefährlichere Tinkturen zu brauen, immer riskantere dunkle Magie auszutesten. Und sie brauchte Versuchsobjekte. Bald gab sie sich nicht mehr mit Pflanzen zufrieden. Sie probierte ihre Künste erst an gewöhnlichen Tieren aus, Eichhörnchen, Mäusen, schließlich Katzen, Hunden und Pferden. Aber irgendwann war ihr auch das nicht mehr genug, und nun mussten die magischen Kreaturen herhalten. Es kam, wie es kommen musste. Eines ihrer Experimente ging schief. Genaue Einzelheiten sind mir nicht bekannt, doch angeblich hat sie an einem kleinen Drachen geübt und das Experiment ist missglückt. Das Drachenjunge starb.« Naomi hielt inne, das Sprechen schien ihr Schwierigkeiten zu bereiten. Dankbar trank sie das Wasser, das Erin ihr reichte.
»Ruh dich ein wenig aus, Naomi. Ich kann genauso gut weitererzählen.« Erin griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz. Sie wich Annas Blick aus und fuhr fort. »Diese Wesen sind uns, selbst wenn wir Magie anwenden, an Kraft und Geschicklichkeit überlegen, doch einen wütenden, zornigen Drachen abzuwehren, das ist so gut wie unmöglich. Die Mutter des Drachen hat sich fürchterlich gerächt. Das Mädchen musste mit ansehen, wie ihre Eltern grausam zerrissen wurden. Auch ihr Bruder blieb nicht verschont. Der kaum den Kinderschuhen entwachsene Junge hatte, ebenso wie das Drachenjunge zuvor, keine Chance. Seine Schwester versteckte sich und überlebte. Obwohl die Menschen ahnten, dass sie den Tod ihrer Familie verschuldet hatte, wollten sich einige gute Seelen ihrer annehmen. Doch das Mädchen, damals zwölf Jahre alt, wollte bei niemandem wohnen. Es hat nicht mehr gesprochen, sich abgesondert und ist schließlich verschwunden. Vor drei Jahren ist Kyra, inzwischen vierundzwanzig, wieder aufgetaucht. Seitdem ist in Silvanubis nichts mehr, wie es war. Wo immer sie in Erscheinung tritt, verbreitet sie Angst und Schrecken. Und sie hat die Magie in dieser Zeit nicht verlernt, im Gegenteil, es gibt wohl keinen, der es mit ihr aufnehmen kann. Und jetzt kommt die Stelle, die euch betrifft.« Erin sah von Anna zu Alexander. »Kyra ist nicht nur eine hervorragende Magierin, sie ist zudem fasziniert von der dunklen Seite der Magie und noch immer voller Zorn und Hass. Sie gibt Silvanubis die Schuld am Tod ihrer Eltern und ihres Bruders. Seit sie wieder aufgetaucht ist, hat sie nur ein Ziel vor Augen, nämlich das Leben, so wie wir es kennen und lieben, zu zerstören. Sie will alleinige Herrscherin über die wunderbaren Geschöpfe, alle Pflanzen und die Magie sein. Und dazu benötigt sie, unter anderem, einen von euch.«
Anna schluckte. Das wurde ja immer besser.
»Sie benötigt einen Neuankömmling, jemanden, der noch keine neunzig Tage hier ist und aus der alten Welt kommt. Außerdem eine besondere Pflanze, die Silberblüte, und sie braucht den Phönix. Wenn es ihr gelingen sollte, in den Besitz dieser drei notwendigen Teile zu kommen und sie zu zerstören, dann wird jede Kreatur ihre Magie verlieren und ihr gehorchen müssen. Alle
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