Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
kurzen hellblonden Haaren, sah beinahe zerbrechlich aus. Anna, fast einen Kopf größer, mit hellbraunen schulterlangen Locken und einem athletischen Körper, erweckte den Eindruck, als ob sie unschlagbar wäre und niemand ihr etwas anhaben könnte. Und doch wusste er, dass der Schein trog. Die zierliche blonde Frau war, zumindest im Augenblick, der sportlichen Brünetten klar überlegen. Ob sich Anna, wenn sie erst einmal ihre Kräfte zurückgewonnen hatte, irgendwann mit dieser erfahrenen Kämpferin messen konnte? Wundern würde es ihn nicht, seine Reisegefährtin wider Willen schien immer für eine Überraschung gut zu sein. Zögernd löste er seinen Blick von den beiden, sank an Naomis Seite und legte ihr erneut seine Hand auf die Stirn. Unverändert. Matt erlaubte er sich einen Moment, seine Gedanken ruhen zu lassen. Seit sie vor drei Tagen hier gelandet waren, hatte er sich diesen Luxus nicht gegönnt. Ständig musste er nachdenken und blitzschnell Entscheidungen treffen, die nicht nur sein Leben, sondern auch das einer Menge anderer Menschen beeinflussten. Die Ereignisse hatten sich nicht nur täglich, nein, beinahe stündlich, wenn nicht minütlich überschlagen. Pausenlos jagte er dem Geschehen hinterher, stets darum bemüht, den Schaden, den er offenbar angerichtet hatte, in Grenzen zu halten. Als er Oskars feuchte Nase in seinem Nacken spürte, schloss er müde die Augen. Der Hund legte seinen riesigen Kopf in seinen Schoß. Aus der Ferne hörte er die leisen Stimmen von Erin und Anna. Der Bach plätscherte sanft, begleitet von dem Rascheln der Blätter im Wind. Seine Gedanken schweiften dorthin zurück, wo er sich noch vor Kurzem befunden hatte. Zurück zum Wald, den er so häufig besucht hatte, zurück zu den Trümmern der Stadt, zu der Schreinerei, zu seiner Mutter. Als seine Gedanken sich weiter in die Vergangenheit wagten, öffnete er entschieden die Augen und griff nach seiner Gitarre, die jemand neben ihn gelegt haben musste.
Hatte er geschlafen? Anna saß wieder neben ihm. Erin hatte sich an der Seite ihrer Schwester niedergelassen und flößte ihr schluckweise Wasser ein. Beinahe liebevoll ließ er die Finger über die Saiten gleiten und entlockte dem Instrument ein leises Summen. Die Gitarre hatte ihren kleinen Ausflug erstaunlich gut überstanden, schien noch nicht einmal verstimmt zu sein. Seine Gitarre … plötzlich wusste er, warum er ausgerechnet nach ihr gegriffen hatte, als er sich mit Oskar auf den Weg gemacht hatte. Sie sollte ihn daran erinnern, dass er es seinen Gedanken eines Tages erlauben konnte, die Reise in die Vergangenheit anzutreten. Dieses schlichte, zerkratzte Instrument gab ihm ein seltsames Gefühl von Trost und Geborgenheit. Die Gitarre und das winzige Taschenmesser, mehr hatte er nicht mitgenommen.
Er ließ die Hand in seine Hosentasche gleiten und tastete nach dem Messer. Sie war leer! Ein frostiger Schauder rieselte unbarmherzig seinen Rücken hinunter. Alarmiert setzte er sich aufrecht hin, griff in die andere Tasche. Ebenfalls leer, es war fort. Sein Messer war fort. Mit einem Satz war er auf den Beinen.
Erin tat es ihm erschrocken gleich. »Was, Alexander?«
Sie bemerkten es zur gleichen Zeit. Ronan drehte seinen Kopf panisch von links nach rechts, wand sich vor dem rauen Baumstamm, soweit es seine Fesseln erlaubten, doch an seiner Seite befand sich niemand mehr. Glenn war verschwunden! Erin sprintete zu der Eiche, vergewisserte sich im Vorbeilaufen, dass Ronans Fesseln noch saßen, und drehte sich suchend um. Doch von Glenn fehlte jede Spur.
»Wo? Wo ist er?« Erin kniete vor dem blonden Hünen und drückte die Spitze ihres Dolchs an seine Kehle.
Alexander deutete auf den Boden. Glenns Fesseln lagen sauber durchschnitten im Gras. Sein Messer! Glenn musste irgendwie an sein Messer gekommen sein. Wütend schlug er sich vor die Stirn. Natürlich, Glenn hatte ihn angerempelt und er hatte sich provozieren lassen. In dem Gerangel, dem lächerlichen Machtkampf, musste es Glenn irgendwie gelungen sein, sich des Messers zu bemächtigen. »Verdammt! Wie hat er das nur geschafft?«
Erin stieß ihn unsanft in die Seite, legte den Zeigefinger auf die Lippen und deutete ihm an, zu schweigen. Nun hörte er es auch, ein Knacken im Unterholz. Die Pferde! Er folgte Erins Blick. Eins fehlte, nur zwei Pferde standen gelangweilt am Baum. Der schwarze Hengst war genauso wie sein Reiter abhandengekommen. Wieder raschelte es zwischen den Bäumen. Jede Faser seines Körpers stand
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