Unter dem Georgskreuz
war Averys Mutter. Über Sillitoes Bruder wußte Bolitho nichts. Er hatte Avery so beeindruckt, daß er in ihm, wann immer sie sich trafen, den Vater sah. Sillitoes Bruder war Marineoffizier und hatte Avery sicher seine erste Kommandierung als Midshipman verschafft. Averys Vater und ein sehr religiöser, ernster Familienhintergrund hatten den Ruf der See nicht dämpfen können. Sillitoes Bruder war in der Schlacht vor Kopenhagen auf der
Ganges
gefallen – wie so viele an jenem blutigen Tag.
Für einen Leutnant ohne Verbindungen gab es in London wenig Abwechslung. Obwohl Catherine wußte, daß es irgendwann einmal eine Frau in Averys Leben gegeben hatte.
Nur eine Frau konnte bei ihm solch tiefe Narben hinterlassen.
Wahrscheinlich hatte sie recht.
Er sagte: »Mr. Avery kommt in ein oder zwei Wochen. Oder wann immer er mag.« Sicher würde Avery im allerletzten Augenblick auftauchen.
Er hörte gedämpften Hufschlag: »Mylady kommt früh zurück.«
Yovell trat ans Fenster und schüttelte den Kopf: »Nein, Sir Richard, es ist ein Bote.« Er drehte sich nicht um. »Mit Depeschen, ohne Zweifel.«
Bolitho erhob sich erwartungsvoll, während Yovell nach draußen eilte, um den Boten zu empfangen. Es begann alles viel zu früh. Er hatte noch einen ganzen Monat vor sich, und doch erinnerten sie ihn immer wieder an seinen Aufbruch. Es wäre besser gewesen, wenn er auf der
Indomitable
geblieben wäre. Aber er wußte sofort, daß das gelogen war. All die Mühen hatten sich gelohnt, selbst wenn er nur eine Stunde bei ihr hätte sein können.
Yovell kam mit dem vertrauten Leinenumschlag zurück. Er zeigte den unklaren Admiralitätsanker. Hoffnungen, die er vielleicht noch gehegt haben mochte, verflogen.
Yovell trat wieder ans Fenster und schaute nach draußen. Ihm fiel auf, daß die Katze verschwunden war. Wieder dachte er an Allday. Es würde schwierig werden.
Er hörte, wie das Messer die Umschläge aufschlitzte. Der Bote hockte jetzt unten in der Küche und trank irgend etwas Heißes. Ganz sicher beneidete er die, die in solch großen Häusern lebten. Er hörte Bolitho: »Alles ist um eine Woche vorverlegt. Wir gehen am 18. Februar ankerauf nach Halifax.« Als er sich am Fenster umdrehte, schien sein Admiral sehr gefaßt – wie der Mann, den jeder in ihm sah. Einer, der keinerlei persönliche Gefühle kannte.
Er sagte: »Es ist schließlich nicht das erste Mal, Sir Richard!«
Bolitho griff nach einer Feder und beugte sich über den Tisch. »Geben Sie dem Mann diese Quittung!« Er erhob sich. »Ich werde ausreiten, um Lady Catherine zu treffen. Sagen Sie das bitte Matthew.«
Yovell eilte davon, ungern, aber er verstand, daß Bolitho mit dem Gedanken an die bevorstehende Trennung allein bleiben wollte. Drei Wochen noch, dann ein ganzer Ozean – eine andere Welt.
Leise schloß er hinter sich die Tür. Vielleicht, dachte er, haben Katzen doch die richtige Vorstellung vom Leben.
Sie trafen sich an der Schiefermauer, die die Grenze zu Roxbys Besitz markierte. Sie stieg nicht ab, ehe er aus dem Sattel geglitten und zu ihr getreten war. Dann saß auch sie ab und wartete, bis er sie in die Arme nahm. Ihr Haar wehte in der salzigen Brise.
»Du hast also Neues erfahren. Wann?«
»In drei Wochen.«
Sie drückte ihr Gesicht so gegen seins, daß er ihre Augen nicht sehen konnte. »Wir machen aus ihnen ein ganzes Leben, Liebster. Immer, immer wieder mußt du es sein.« Das sagte sie ohne Ärger oder Bitterkeit. Die Zeit war zu kostbar, um sie so zu verschwenden.
Er sagte: »Ich möchte nicht. Ich hasse schon den bloßen Gedanken!«
Sie fühlte ihn unter dem Reitmantel zittern, als fröre oder fiebere er. Beides war nicht der Fall.
»Warum mußt du meinetwegen und meiner Pflichten wegen leiden?«
»Weil ich dich
verstehe
. Wie deine Mutter und alle Frauen vor ihr. Ich werde wie sie warten, und ich werde dich mehr vermissen, als man mit Worten ausdrücken kann.« Dann sah sie mit festem Blick zu ihm auf. »Ich bin vor allem so stolz auf dich. Wenn dies alles vorüber ist, bleiben wir zusammen, und nichts wird uns jemals mehr trennen können.«
Er berührte ihr Gesicht, ihren Hals. »Mehr will ich nicht.«
Und er küßte sie so sanft, daß sie am liebsten geweint hätte.
Doch sie war stark, so stark, daß sie sich Tränen nicht erlaubte. Sie wußte, wie sehr er sie brauchte, und das gab ihr Mut. Mut, der jetzt nötiger war als je zuvor.
»Bring mich nach Hause, Richard. Ein Leben lang, denk daran!«
Sie gingen
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