Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
2 Tage
O bschon ich mir geschworen hatte, es nicht zu tun, belästigte ich heute vor lauter Begeisterung Patentante Mona mit Fotos aus meinem Unterleib.
«Guck mal, die kleinen Füße! Allerliebst, oder?»
«Welche Füße?»
«Da, am unteren Ende des Embryos!»
«Welcher Embryo?» Ernüchternd.
Ich versuchte einen Themenwechsel.
«Schau mal hier, ein sehr gelungenes Ultraschallbild des Kopfes.
Mein Arzt hat gesagt, der Kleine hätte genau mein Profil. Ich finde, da ist was dran, oder?»
«Dann hätten sämtliche Embryonen aus allen Bio-Büchern dieser Welt dein Profil. Die sehen doch genauso aus.»
Schmallippig steckte ich die Aufnahmen meines ungeborenen und schon in seiner Ehre gekränkten Sohnes wieder ein.
Mona betrachtete derweil interessiert meinen Bauch.
«Ist das eigentlich normal?», fragte sie, eigentlich nicht unfreundlich.
«Was?»
«Ich meine, du bist gerade mal im fünften Monat, und du siehst schon aus, als ginge es jeden Moment los. Oder ist das Kind so dick?»
«Mein Kind ist überhaupt nicht dick!», polterte ich los. «Es entwickelt sich prächtig und wie nach Lehrbuch. Und ich, ich lasse es mir einfach gutgehen. Ich muss ja jetzt auch auf eine ausreichende Nährstoffzufuhr achten. Und außerdem bin ich heilfroh, mal nicht den gängigen und gefährlichen Gewichtsnormen entsprechen zu müssen!»
Ich biss böse in mein Käsebrötchen.
«Siehst du, es geht schon los», sagte Mona.
«Was denn?»
«Mütter sind humorbefreite Zonen – erinnerst du dich? Und du verstehst schon jetzt keinen Spaß mehr. Wenn du nicht aufpasst, wirst du so, wie du nie sein wolltest.»
Ich schwieg beschämt und gelobte innerlich Besserung. Wobei: Mein Sohn ist nicht dick, und irgendwo hört der Spaß ja auch mal auf!
14. November
Heute habe ich mit meinem neuen Roman angefangen!
Ein großer Tag.
Abgabe Buch und Geburt Baby sind beide für Ende April vorgesehen. «28. April» steht in meinem Mutterpass unter «berechneter Entbindungstermin», und «1. Mai» steht in meinem Vertrag unter «Manuskriptabgabe».
Ich habe also noch fünf Monate Zeit, ein Buch und ein Baby zur Welt zu bringen.
Den Titel für das Buch habe ich schon: «Endlich!».
Der Titel für das Baby befindet sich noch in der Findungsphase.
Es ist ein gewichtiger Moment, ein Buch zu beginnen und ihm einen Titel zu geben, und ich finde, es ist eine Frage des Respekts einer gewichtigen Unternehmung gegenüber, dass man sie nicht einfach so beginnt, sondern sich vorher gebührend gruselt und vergeblich versucht, sich von dem Wissen abzulenken, dass sich mit dem ersten niedergeschriebenen Satz das Leben verändern wird.
«Der Tag tut so, als sei nichts. Fängt ganz normal an, geht ganz normal weiter. So wie das Tage tun, normalerweise. In meinem Leben zumindest.»
Das sind die ersten Sätze meines neuen Buches.
Ich habe sie mindestens drei Monate lang vor mir hergeschoben. Denn genauso wichtig wie das Schreiben selbst ist es, das Schreiben eine angemessene Zeit lang vor sich herzuschieben. Eine Zeit, in der man Dinge tut, die man sonst grundsätzlich nicht tut, beispielsweise T-Shirts bügeln, Abflüsse reinigen oder «Joseph und seine Brüder» von Thomas Mann lesen – zumindest die ersten der 1652 Seiten.
Mit dem ersten Satz eines neuen Buches beginnen ein Abenteuer und ein Doppelleben. Würde ich Krimis schreiben, ich wüsste bis zur vorletzten Seite nicht, wer der Mörder ist. Und würde ich Biographien schreiben, dann würde mir auf Seite eins langweilig, weil ich das Ende ja bereits kenne.
Meine Bücher passieren mir.
Ein Mann, den ich kannte, ist überfahren worden. Hätte er das Haus drei Sekunden später verlassen, würde er noch leben, denke ich manchmal, wenn ich die Tür zuziehe und hoffe, dass der, der mich heute überfahren könnte, sich wieder um drei Sekunden verspätet.
Schreiben ist wie Leben: unvorhersehbar, und manchmal kommt es auf Sekunden an. Das mag etwas übertrieben klingen, aber das ist Schreiben ja auch.
Meine Heldinnen haben keine andere Wahl, als sich meinen Gewichts- und Stimmungsschwankungen unterzuordnen und mich zu begleiten: in meinen Griechenland-Urlaub, wo ich an Themenbuffets meinen Body-Mass-Index auf den neuesten Stand brachte.
Zu «IKEA», wo ich mich neu einrichten wollte und vor lauter Überforderung lediglich mit drei Fusselrollern nach Hause kam.
Zum «Musikantenstadl», wo auf jeden Besucher wenigstens ein Sanitäter kam. Zum «Gang of Four»-Konzert, wo alte Männer auf
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