Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
der Mann am Klavier «For your Eyes only», und der aufmerksame Kellner bringt mir ein Taschentuch. Die Dicke geht ohne Gruß, und die Mutter der jungen Frau verabschiedet ihre Tochter mit einem Kuss auf die Stirn.
«I hope you don’t mind, that I put down in words, how wonderful life is, while you are in the world.»
Ich habe gelesen, dass fast alle Menschen in ihrer Todesstunde nach ihrer Mutter rufen. Ist das die tiefste aller möglichen Bindungen? Am Sterbebett meiner eigenen Mutter habe ich gehört, wie sie in den Momenten größter Angst und größten Leides ihre Mutter um Hilfe anflehte. Die war seit dreißig Jahren tot.
Anne Enright schreibt in ihrem Buch «Ein Geschenk des Himmels»: «Es ist das beharrlichste aller Gefühle. Eine Sorge und eine Sorgende lassen niemals los. ‹Es hört nie auf›, sagt meine Mutter, ‹es hört nie auf›, womit sie die Liebe meint, aber auch die Sorge. Wie Phantome entschlüpfen wir den Köpfen unserer Eltern, lassen sie dann nach irgendetwas fassen, das sie bei unserem Namen rufen, weil eine Mutter einfach nicht imstande ist, ihr Kind loszulassen. Und sehr viel später dann, in Not, in tragischen Umständen oder aber vom Alter geschwächt, gleiten wir unbemerkt wieder zurück in ihren Besitz, weil man zuweilen einfach nur will, dass die Mutter einen hält, wenn nicht in ihren Armen, so doch in ihrem Herzen, wie auch sie hin und wieder von ihrer eigenen, längst verstorbenen Mutter gehalten wird.»
Mittlerweile klatschen wir alle, wenn der Pianist Pause macht.
Schlomuckel hat, welch ein Luxus, seine Großeltern perfekt auf Himmel und Erde verteilt. Ich werde eine Familie sein, einer wird «Mama» zu mir sagen, und ich könnte gerade ausflippen vor Glück.
Und die unglückliche Dicke bekommt am nächsten Tag eine tragende Nebenrolle mit Happy End in meinem Buch.
3. Dezember
Schwangerschaftswoche: 19
E s plagen mich elementare Fragen: Warum schnaufe ich schon jetzt bei der geringsten Anstrengung wie ein asthmatisches Walross? Darf ich als Schwangere Kaviar essen? Brauche ich einen Dampfsterilisator für Fläschchen und Schnuller? Und, ach ja, ehe ich’s vergesse: Was soll eigentlich aus mir werden?
Heute habe ich mir beunruhigt in dem Buch «Muttergefühle» von Rike Drust folgende Passagen angestrichen:
«Ich war mal cool. Als ich weder Mann noch Kind hatte, haben meine besten Freundinnen und ich so viel gefeiert, dass wir mindestens einen Arbeitsplatz in der ‹Beck’s›-Brauerei gesichert haben. Jetzt habe ich ein Kind und fühle mich in die Schublade der langweiligsten Menschen der Welt gedrückt. Als ich in Elternzeit war, wurde mir bei der Frage ‹Und? Was machst du so?› heiß und kalt. ‹Hausfrau und Mutter› wäre die korrekte Antwort gewesen, aber da hätte ich auch gleich sagen können, ich presse Blumen und lerne Zugstrecken auswendig. ‹Ich leite ein erfolgreiches Familienunternehmen› soll zwar in der Werbung pfiffig und selbstbewusst rüberkommen, schreit aber in der Realität aus jedem Buchstaben: ‹ICH HABE KOMPLEXE, WEIL ICH MIT DEM KIND ZU HAUSE BIN.› Das war die peinlichste Antwort von allen, fand ich. Aber meine Antwort war eigentlich noch viel peinlicher, ich sagte nämlich: ‹Ich bin, nur‘ Mutter› (wobei ich die Gänsefüßchen tatsächlich mit den Fingern in die Luft malte).
Auf der Suche nach etwas Selbstbestätigung fällt mir auf, dass Männer mich, seit ich mit Kinderwagen unterwegs bin, ähnlich interessant finden wie die Squaredance-Aufführung einer junggebliebenen Seniorengruppe. Und meine Nachbarn erkennen mich häufig nicht einmal, wenn ich mein Kind nicht dabeihabe. Das schockiert mich. Sowohl in meiner eigenen als auch in der Wahrnehmung anderer scheine ich als eigenständige Frau nicht mehr zu existieren. Schon während der Schwangerschaft wurden ich und mein Bauch nach Herzenslust betatscht und klugbeschissen. Als das Kind da war, hat sich mein Dasein als Frau sogar noch weiter aufgelöst. Plötzlich steckte ich bis zum Hals im Klischee: Obwohl ich mir eigentlich mit meinem Partner alles gerecht teilen wollte, das Geldverdienen, den Haushalt und die Kinderbetreuung, war ich plötzlich Hausfrau und Mutter. Und zwar nicht, weil ich es mir freiwillig ausgesucht hatte, sondern weil der Mann mehr Geld verdiente als ich und sein damaliger Arbeitgeber kein flexibleres Modell zugelassen hätte.»
Welche dieser Probleme kommen auch auf mich zu? Und wie sehr werde ich unter ihnen leiden?
Ich war nie cool
Weitere Kostenlose Bücher