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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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ehrwürdigen Chaïlsa fahren. Ihm nach jagte der Samum , noch immer von Aliyat gesteuert, die nur noch den verhassten Scharlach sah.
    Diese Bewegung wurde vom Karawanenführer missdeutet: Er glaubte, er habe es mit einer allumfassenden Verschwörung zu tun, Scharlach habe ihn ebenso verraten wie Ar-Maura und führe nun zusammen mit dem Samum einen Angriff auf den linken Flügel. Zu raschen Entschlüssen neigend, was ihn beim jüngsten Vorstoß ins Hinterland Kimirs mehrfach gerettet hatte, warf sich Chaïlsa nach Norden, um sich vom Gegner zu lösen, Ar-Ajafas Schatten zu umfahren und ihn gegen die Sonne mit den Spiegeln in Brand zu stecken. Damit hätte er den Aufrührern in der Oase selbst die Hände gebunden und ihnen die Möglichkeit genommen, der zusehends anwachsenden Räuberkarawane zu Hilfe zu kommen.
    Unterdessen hatten sie auf der Düne die Wimpel Harwas heruntergerissen und die wohlvertrauten weißen Lappen gehisst. Erst da erfasste man an Bord des Samum endlich, was vor sich ging. Plötzlich auferstanden, zerrte Ar-Scharlachi die um sich schlagende, kreischende Aliyat vom Steuerrad weg, und der rosa-goldene Zweimaster folgte der Düne , um die Karawane des ehrwürdigen Chaïlsa einzuholen. Und aus dem Hafen kamen schon zwei Galeeren und ein Segelschiff gekrochen – die Aufständischen eilten Scharlach zu Hilfe. Dem echten Scharlach, nicht dem, dessen Postgaleere möglichst weit weg von der Oase floh, unstet wie der vor Glast wabernde Horizont.
    Ar-Ajafas Schatten in Brand zu setzen gelang dem ehrwürdigen Chaïlsa dann doch nicht. Der Gegner war ihm dicht auf den Fersen und ließ keine Zeit, die Phalanx der Spiegelkämpfer zu entfalten. Außerdem waren etliche Einheiten der Bürgerwehr (irgendwoher war eine ziemlich umsichtig agierende Bürgerwehr aufgetaucht!) an den Nordrand des Schattens gekommen, und hätte sich der Karawanenführer auch nur auf Katapultschussweite herangewagt, hätten sie seine Schiffe zu Fuß geentert.
    Es blieb eins: die Verfolger abzuschütteln, den nächsten Schatten zu erreichen und um Verstärkung zu bitten. Das tat der Karawanenführer denn auch. Die fünf Schiffe der Aufständischen verfolgten ihn fast den halben Tag lang, dann blieben sie zurück, und der ehrwürdige Chaïlsa nahm Kurs auf Ar-Ljatas Schatten, noch ohne zu wissen, dass auch diese Oase aus irgendeinem Grunde schon in Aufruhr war.
    In jenen Tagen war Ulqar wohl der Einzige, der sich nicht wunderte, wie einmütig und reibungslos der ganze Palmenweg sich erhob. Immerhin kannte er besser als jeder andere die wahre Geschichte des Aufstands in Harwa. Er war sich nur zu gut bewusst, welch schrecklicher Feind sich ihm insgeheim entgegenstellte; er fürchtete diesen Feind, kam aber nicht mehr gegen den eigenen Wahnsinn an. Vom Hochmut geblendet, glaubte der Herrscher teilweise wohl selbst an sein göttliches Wesen, das er den Untertanen nun schon seit zwei Jahren einredete. Und tatsächlich: Wer außer einem Gott hätte es gewagt, sich mit den Herren der nickenden Hämmer zu messen!
    Die einfachen Sterblichen hingegen waren schlechthin sprachlos vor Staunen. Der Palmenweg, der ohne zu murren erlaubt hatte, den Glauben der Väter zu vernichten, zahlreiche Tempel und Tempelchen der Vier Kamele zu zerstören, der, mit unerträglich hohen Abgaben und Steuern belegt, erschrocken in seinen über die Wüste verstreuten Oasen stillgehalten hatte, riss sich vom Anker los, wie es etliche Jahre zuvor Harwa selbst getan hatte.
    In die schmalen, gewundenen Gassen der Siedlungen strömten hinter Stampflehmwänden hervor bewaffnete Menschenmengen und riefen: »Scharlach! Scharlach!« Die in den Häfen liegenden Kriegsschiffe wurden fast kampflos erobert; die von den Leichen der Nacktfressen verstopften Wassergräben liefen über, es schäumte das trübe, mit Blut vermischte Wasser und wurde vom Sand aufgesogen. Auf die granitgepflasterten Plätze wurden zahllose Statuen des Herrschers gestürzt, an ihre Stelle die wie durch ein Wunder bewahrten Statuetten und Bronzeköpfe der Vier Kamele aus irgendwelchen Verstecken geholt und auf die Säulen an den Ecken der halb zerstörten Tempel gesetzt; die Baracken gingen mitsamt den darin verschanzten Wächtern in Flammen auf.
    Die Ereignisse in Ar-Ajafa konnte man noch halbwegs mit natürlichen Ursachen erklären: dem beleidigenden Verhalten des Karawanenführers, dem Mord an dem Bettler, dem Eintreffen des wahren Scharlach. Doch wer hatte das Signal zum Aufstand in den anderen Oasen

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