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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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längst erkannt, dass Harwa schon nahe war. Das nervtötende Schaukeln über die Dünen der Wüste hatte aufgehört, unter den riesigen hohlen Rädern knirschten und knackten die kleinen Steine der ebenen Steppe.
    Ar-Scharlachi drehte sich ächzend auf den Bauch und stützte sich auf, die Ellbogen am Boden. »Hör mal«, sagte er leise. »Es sind doch schon zwei Tage vergangen! Scharlach ist bestimmt in die Wüste gegangen … Welchen Sinn hat es, weiter zu lügen? Sag ihnen, dass ich kein Räuber bin!«
    »Wozu?«, erkundigte sich Aliyat gleichgültig.
    »Weil es die Wahrheit ist!«
    Aliyat richtete sich ebenfalls auf einen Ellbogen auf und betrachtete Ar-Scharlachi angewidert. »Tja …«, sagte sie spöttisch und drehte sich wieder zur Wand. »Was wahr ist, ist wahr …«
    »Willst du etwa den Richter decken?«, zischte Ar-Scharlachi. »Oder den Anführer der Wache? Du hast doch selber gesehen, was die mit mir gemacht haben! Dabei habe ich den Richter für meinen Freund gehalten … Sch-Schakale …! Und dein Scharlach ist keinen Deut besser! Der lässt sich’s in Freiheit gut gehen, und dich schaffen sie nach Harwa … an zwei Ketten …«
    Nach diesen Worten verstummte Aliyat vollends. Entweder war sie beleidigt, oder sie hatte nachzudenken begonnen. Ar-Scharlachi aber gab sich wieder seinen trüben Gedanken hin.
    »Wir überantworten dich in die Hände des Herrschers …« Wie war das denn nun zu verstehen? Doch nicht im wörtlichen Sinne! Obwohl … Warum eigentlich nicht? Der ehrwürdige Ar-Maura – dass ihm Skorpione in beide Ärmel kröchen! – hatte doch gesagt, der Herrscher habe eine ganze Karawane zur Jagd auf Scharlach ausgeschickt und dazu noch verfügt, ihn lebendig zu ergreifen … Zu welchem Zweck benötigte wohl der Herrscher, der Unerforschliche und Unsterbliche, den nichtswürdigen Räuber Scharlach …? Aber womöglich kannten sie einander? Sagen wir, vor fünf Jahren hatten sie gemeinsam die Revolte gegen den Staat der Oreyas begonnen, dann war der Krieg gekommen, und ihre Wege hatten sich getrennt … Der eine war Herrscher geworden, der andere Räuber …
    Die Annahme war natürlich gar zu unwahrscheinlich, und dennoch ließ ihm die verzweifelte Hoffnung eine Sekunde lang das Herz schneller schlagen. In der Tat, wenn der Herrscher irgendwann Scharlach gekannt hatte, würde der Austausch sofort auffliegen … Ach, Richter! In dem Fall bist du nicht zu beneiden!
    An Hand und Fuß entlang der Bretterwand hingestreckt, lag Ar-Scharlachi jetzt in freudiger Ruhe da. Wieder und wieder malte er sich Verwunderung und Zorn des Herrschers aus, wenn dieser entdecken würde, dass man ihm keineswegs das Gewünschte gebracht hatte. Dann begann er sich genüsslich vorzustellen, welche Strafen den ehrwürdigen Ar-Maura treffen würden, den Anführer der ersten Wache, den jungen Sekretär … Und diese Kobra Aliyat, die immer noch reglos an der anderen Holzwand ausgestreckt lag.
    Kurzum, als sie sich Harwa näherten, hatte sich Ar-Scharlachi schon so viel Schönes ausgemalt, dass er beinahe guter Dinge war.
    Übers Deck liefen Leute, Leinwand schlug ohrenbetäubend, der Schiffsrumpf erzitterte, die Taljen knarrten. Man hörte, wie unten, mit den leichten Ketten klappernd, die ausgeruhte Ablösung die Plätze auf ihren Hängesitzen einnahm. Alles normal … Es war verboten, unter Segeln in Harwa einzulaufen. Bald schon traten die Schiffsläufer im Gleichklang die Sprossen der Antriebstrommeln weg und trieben das Schiff in glatter Fahrt über das ebene Pflaster des südlichen Zufahrtsweges. Wohl zum zweiten inneren Hafen …
    Bei dem Wachturm hielten sie an und schienen jemanden an Bord zu nehmen. Wenig später ging die niedrige Tür auf – und der dämmrige Verschlag erstrahlte förmlich in rötlichen Flammen. Der Mann, der zu den Gefangenen hereinschaute, trug einen weiten Mantel von purpurroter Seide und eine Goldkette. Zweifellos ein Würdenträger, und wohl derselbe, den sie gerade an Bord genommen hatten.
    »Diese?«, fragte er und ließ den Blick schweifen.
    »Diese, ehrwürdiger Tamsaa«, wurde draußen eilends bestätigt.
    »Heil und unversehrt?« Ohne eine Antwort abzuwarten, wollte der flammende Unbekannte die Tür schließen, doch Ar-Scharlachi ließ ihn innehalten: »Ehrwürdiger! Ich will Anzeige gegen den Richter Ar-Maura erstatten!«
    Die Nacktfresse zögerte und musterte Ar-Scharlachi neugierig. »Weißt du nicht, dass von entlarvten Verbrechern keine Anzeigen entgegengenommen

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