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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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von Harwa.«
    »Und sie wurden nicht verfolgt?«
    »Hm, wohl nicht. Sicherlich hatten die Feinde nie zuvor Berge gesehen (so wie du) und wagten es einfach nicht, dort einzudringen …«
    Aliyat wurde nachdenklich. »Aber vielleicht ist das alles gelogen?«, fragte sie herausfordernd.
    »Gewiss doch«, stimmte Ar-Scharlachi zu. »Obwohl … Es kann alles Mögliche sein …«
    Sie redeten noch ein wenig, dann wurden sie schläfrig. Zuerst legte sich Aliyat hin, wobei sie sich gewohnheitsmäßig die dunkelste Ecke aussuchte, dann richtete sich, während er sie anschaute, auch Ar-Scharlachi für die Nacht ein.
    Zum Schlafen kamen sie aber doch nicht. Ein gellender Schrei drang in den noch nicht recht ausgeformten Traum und ließ beide auffahren. Und dann war es, als liefe ein Zittern durch die hölzernen Rippen des Samum . Unten begann ein Gerenne, Stimmengewirr, Kettengeklirr. Von den Wänden gedämpft, lief ein anschwellendes Gebrüll vom Bug zum Heck.
    »Was geht da vor?«, fragte Ar-Scharlachi tonlos.
    Aliyat saß reglos da. Zum ersten Mal waren ihre dunklen Augen weit offen. Die Räuberin schien vor Angst wahnsinnig zu sein. Oder vor plötzlicher Hoffnung.
    »Halt fest! Halt fest …!«, stöhnte jemand ganz in der Nähe. »Gleich springt er!«
    Man hörte Kampfgeräusche, ein paar dumpfe Schläge, dann rasch näher kommendes Trappeln – und die Tür wurde aufgerissen. Ar-Scharlachi sprang auf, schlug mit dem Scheitel gegen die niedrige Decke, die kurze Kette spannte sich, der Reif schnitt schmerzhaft ins Handgelenk.
    Von perlendem Mondlicht gefolgt, stürmte der Treiber des Samum in den Raum, die junge Nacktfresse. Derselbe, der tags zuvor ins Deckhaus gekommen war, um zu erfahren, wer die Kursänderung befohlen hatte. Er stürzte auf den Gefangenen zu, am ganzen Körper zitternd, klammerte sich mit eisernem Griff an den Ärmel des Kittels und begann zu heulen wie ein getroffener Sandhase: »Scharlach! Scharlach! Scharlach …!«
    Dann drängte sich brüllend ein großer, breitschultriger Matrose durch die Tür, verdeckte für einen Augenblick den perlenden Mondschein. Noch ehe Ar-Scharlachi aus dem Ärmel fahren und so wenigstens eine Hand frei bekommen konnte, fiel ein entsetzlicher, knirschender Schlag, und Blut spritzte ihm auf Gesicht und Schleier. Der dünne, verzweifelte Schrei des Treibers brach ab.
    Der Matrose stand da, das Haumesser gesenkt, und schien selbst nicht zu begreifen, was geschah.
    »Warum?«, presste Ar-Scharlachi hervor, während er vergebens versuchte, den Griff der nun schon toten Finger zu lösen.
    Der Matrose schaute ihn aus leeren, von Mondlicht erfüllten Augen an – und wich zurück.
    »Den Schlüssel!« Aliyats Stimme klickte wie ein Stahlschloss fremdländischer Fertigung. »Schnell!«
    Der Matrose drängte rückwärts zur Tür hinaus, rannte nach rechts, nach links, dann blieb er abrupt stehen und schrie auf, klagend und drohend: »Den Schlüssel, ihr Warane! Wer hat den Schlüssel? Scharlach ist noch angekettet!«
    Ar-Scharlachi hatte den Ärmel endlich frei bekommen, und der Körper des Ermordeten sackte langsam zu Boden, in die schwarze, im Mondschein glänzende Pfütze. »Was ist denn das?«, brachte er mit Mühe hervor.
    »Eine Meuterei«, sagte Aliyat mit zusammengepressten Zähnen. »Die Idioten! Stehen immer noch da … Gleich werden sie sie alle binden … Lösen müssen sie sich!«
    Ar-Scharlachi betrachtete voller Furcht den Leichnam des jungen Treibers, dann wandte er sich mit einem Ruck zu Aliyat um: »Dein Werk?«
    »Du bist verrückt!«, antwortete sie zornig. »Wann sollte ich das denn geschafft haben?«
    »Und wer hat sie dann dazu angestachelt?«
    Der schneeweiße Schleier, der im Mondlicht einen grünlichen Schimmer angenommen hatte, regte sich, ließ ein spöttisches Grinsen erahnen. »Scharlach natürlich. Wer sonst?«
    Von Schwäche ergriffen, lehnte er sich mit den Schulterblättern gegen die Trennwand und wäre beinahe an ihr nach unten gerutscht, zu dem toten Treiber. Das ganze entsetzliche Ausmaß seiner Lage zeigte sich unversehens mit erbarmungsloser Klarheit. Er würde niemanden davon überzeugen können, dass nicht er die Meuterei auf dem Flaggschiff angestiftet hatte. Und am schrecklichsten war, dass er es tatsächlich getan hatte. Allein schon die Anwesenheit des Räubers Scharlach an Bord ließ den Gedanken an Meuterei aufkommen … Noch dazu in einer Vollmondnacht …
    Wenn ihm noch ein paar Minuten vorher der Gedanke durch den Kopf gegangen war,

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