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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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weiter, so schnell sie konnte. Ein hastiger Blick über ihre Schulter verriet ihr, dass sie sie beinahe eingeholt hatten, bis auf einen der Männer, der zurückgeblieben und wohl der Anführer dieser Bande war.
    Maya schrie auf, als sie schließlich am Arm gepackt und zurückgerissen wurde. Sie schlug und trat um sich, rief um Hilfe und brüllte Verwünschungen, biss zu, als sich eine Hand auf ihren Mund legte, schmeckte fremde Haut und Blut, hörte unmittelbar neben ihr jemanden aufjaulen. Gleich darauf, aus etwas größerer Distanz, eine Männerstimme, überlaut und zornig: » Lâ! Nein!« Und gleich darauf fühlte Maya einen heftigen Schlag an der Schläfe, Sterne tanzten vor ihren Augen. Dann gab es nur noch schwarze Stille.



 
    Eine ganze Welt in einem Sandkorn sehen,
und einen Himmel in einer wilden Blume,
halt Unendlichkeit in der Fläche deiner Hand,
und Ewigkeit in einer Stunde.
    W ILLIAM B LAKE
Weissagungen der Unschuld

1
     »Inwiefern verschwunden? « Colonel Coghlan schaute entrüstet. »Könnten Sie das vielleicht etwas präzisieren, Lieutenant?« Eindringlich sah er seinen Untergebenen an, der unglücklich wirkte, unrasiert und übernächtigt, wie er vor seinem Schreibtisch versuchte strammzustehen.
    Lieutenant Ralph Garrett räusperte sich und holte tief Luft. »Sir, als ich gestern am späten Abend nach Hause kam, war meine Frau nicht da. Sie tauchte die ganze Nacht nicht wieder auf und ist auch bis heute Nachmittag nicht zurückgekehrt. Ich habe unsere Bengalin ebenso befragt wie die Nachbarn – ohne Ergebnis. Zuletzt wurde sie gestern gegen drei Uhr nachmittags von Styg – von Dr. Steinhäuser gesehen«, er nickte dem Arzt zu, der mit verschränkten Armen an der rissigen Wand von Coghlans Büro lehnte und zur Bestätigung dieser Aussage gleichfalls nickte, »als sie bei ihm war.« Ralphs Hand, die bis dahin locker auf seinem Rücken gelegen hatte, ballte sich zur Faust, als er an die beiden Besuche Mayas dort dachte, von denen Steinhäuser ihm erzählt hatte, von ihrer Reaktion auf den Brief, den Richard Francis Burton ihr hinterlassen hatte. Bei der Vorstellung, Maya sei verschwunden, um Richard nach England zu folgen, zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen.
    Coghlan wechselte einen Blick mit Lieutenant Playfair, der sich auf einem Stuhl nahe des Schreibtisches niedergelassen hatte, streckte dann die Hand nach einer ledernen Schriftenmappe aus und klappte sie spielerisch mehrfach auf und wieder zu. »Nun, Lieutenant Garrett«, entgegnete er langsam, ein maliziöses Lächeln um seine Mundwinkel, »für Sie ist es gewiss ein herber Schlag, dass Ihnen die Gattin davongelaufen ist, für die Sie Ihre Karriere ruiniert haben. Aber ich verstehe beim besten Willen nicht, weshalb Sie sich deshalb an uns wenden.« Energisch ließ er den Deckel der Mappe zufallen, lehnte sich zurück und sah Lieutenant Garrett mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an, während Playfair hörbar ein Lachen unterdrückte. Ralph lief rot an.
    »Sir, ich gebe zu, May– … meine Frau und ich hatten in letzter Zeit ein paar Schwierigkeiten. Deshalb zog ich anfangs durchaus auch diese Möglichkeit in Betracht.« Tatsächlich war ihm zuerst der Verdacht gekommen, Maya könnte womöglich von seinen Ausflügen zu den indischen Prostituierten der Stadt erfahren haben, aber schließlich waren es nur wenige Besuche dort gewesen: nach feuchtfröhlichen Abenden im Kasino und in der Begleitung von Kameraden, die ebenfalls nicht unbedingt großes Interesse daran hatten, dass ihre Vergnügungen dort bekannt würden, weil sie hier oder in England auch Ehefrauen hatten, und so hatte er diesen Gedanken wieder verworfen. Außerdem war er schon einige Wochen nicht mehr dort gewesen; das erhoffte Gefühl der Stärke, dasjenige, Herr der Lage zu sein, nichts geben zu müssen, nur selbstsüchtig nehmen zu können, das er noch aus ähnlichen Zerstreuungen aus seiner Zeit in Indien kannte, hatte sich einfach nicht einstellen wollen, und er hatte schnell den Gefallen daran verloren. »Ihre persönlichen Sachen sind aber allesamt noch im Haus, es fehlt nichts.« Auch nicht die Briefe, die dieser verfluchte Burton ihr all die Jahre geschrieben hat , setzte er in Gedanken hinzu und biss die Zähne zusammen, wie er es getan hatte, als er auf der Suche nach einem Hinweis auf Mayas Verbleib ihre Reisetasche unter dem Bett hervorgeholt, sie geöffnet und das Briefbündel darin entdeckt hatte. Dabei war es ihm kein Trost gewesen, dass seine eigenen,

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