Unter dem Safranmond
bestimmt etwas mit Abenteuer zu tun, damit, sich zu bewähren. Mit Ehre. Und vielleicht mit der Hoffnung auf einen Funken Unsterblichkeit im Angesicht des Todes.«
Unter einem trockenen Auflachen schüttelte Maya den Kopf. »Das werde ich nie verstehen.«
Dr. Steinhäuser schmunzelte ein wenig unbeholfen. »Womöglich nicht, nein.« Er reichte ihr seinen Arm, als sie sich anschickte aufzustehen. »Wird es gehen? Möchten Sie sich nicht noch ein wenig ausruhen?«
Maya schüttelte den Kopf. »Nein, ich … ich bin in Ordnung.« Natürlich war das gelogen, aber sie wollte keinen Augenblick länger hier verweilen, trotz der im Grunde wohltuenden Gegenwart Dr. Steinhäusers. Es zog sie nicht zurück in den Bungalow, als sie sich bei Dr. Steinhäuser bedankt und von ihm verabschiedet hatte, und auch nicht weiter hinein in die Stadt, sondern hinauf zum Turm des Schweigens, der ihr ein Ort der Zuflucht geworden war.
Seit sie das letzte Mal hier gewesen war, war es spürbar wärmer geworden, kündigte die heiße Jahreszeit ihre Rückkehr an. Maya löste die Bänder ihres Hutes und legte ihn neben sich, als sie sich setzte, den Rücken an das Fundament des Turmes gelehnt. Der Gedanke, auch Richard würde in diesem endlosen Krieg auf der Krim, der so romantisch verklärt begonnen und dann so viele unnötige Opfer gefordert hatte, sein Leben lassen, war ihr unerträglich. Sein Vorwurf, sie hätte weder ihn noch Ralph je geliebt, hatte sie tief getroffen. Im Volksmund nennt man Aden auch »das Auge Arabiens«. Ich wünschte, es würde dich lehren, endlich deine Augen zu öffnen und klar zu sehen. Und während Maya dort oben saß, auf die Grate des Kraters ringsherum blickte, die aus dieser Perspektive so viel weniger bedrohlich wirkten, vielmehr erhaben und majestätisch, sogar aufrichtig in ihrer Schroffheit, sah Maya, wie sehr sie sich in ihre eigenen Träumereien und Illusionen verstrickt hatte. Aden war nicht das Arabien aus Tausendundeiner Nacht , deren französische Übersetzung Maya heimlich auf Richards Anraten hin gelesen hatte, es hatte auch nie behauptet, es zu sein. Es war Mayas eigener verschleierter Blick gewesen, der ihr diese Enttäuschung bereitet hatte, und sie hatte ein ganzes Jahr gebraucht, um das zu erkennen. Genau wie das, was sie von Richard und Ralph verlangt hatte, an Zauber, an Sinn, an Erfüllung, mehr gewesen war, als ein Mensch jemals zu geben imstande war. Langsam zerriss sie Richards Brief in winzige Schnipsel, die sie in der hohlen Hand sammelte, ehe sie die Finger weit öffnete und sie dem Wind darbot, der sogleich eilig danach griff, sie aufwirbelte und davontrug, über den Boden tänzelnd und hinauf in die Luft fliegend, über die Felsen hinweg, wie Schneeflocken.
»Was nun?«, flüsterte sie hinter ihnen her. Heiß durchzog sie die Sehnsucht nach ihren Eltern, sogar nach Angelina, nach einem Neuanfang, und so schwer es ihr fiel, so hart sie an ihrem Stolz schluckte, der sich in ihrer Kehle querstellte, so rang sie sich doch dazu durch, endlich Tante Elizabeth zu schreiben und sie um das Geld für die Heimfahrt zu bitten.
In der zufriedenen Gewissheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, die vielleicht ein Anfang sein mochte, nach und nach den Scherbenhaufen zu beseitigen, zu dem ihr Leben geworden war, und in einem plötzlich aufschießenden Gefühl absoluter Freiheit schloss Maya die Lider, lehnte den Kopf gegen den warmen Stein und atmete tief durch.
Ein Rascheln, stärker als das zarte, schleifende Geräusch, mit dem der Wind die Grashalme und die Zweige der Sträucher über Mauern und Boden streichen ließ, stark genug, dass es mit dem Sirren des Windes mithalten konnte, irritierte sie, ließ sie widerstrebend die Augen öffnen. Ihr Atem stockte, als ein halbes Dutzend Männer auf sie zuschritt, in schwarzblaues Tuch gekleidet, ihre weiten Hosen und die Ärmel ihrer Hemden im Wind flatternd, die Silberplättchen daran im Sonnenlicht grell auffunkelnd. Ihre Gesichter waren verhüllt, zeigten nur die dunkle Augenpartie, und ihr entschlossener Blick, die Art, wie sie mit energischen Bewegungen zielstrebig auf Maya zukamen, ließen keinen Zweifel daran, worauf sie aus waren.
Maya rappelte sich an der Mauer hoch und begann zu laufen, um den Turm herum, wohl wissend, dass sie in der Falle saß, weil nicht weit dahinter der Fels wieder steil und zerklüftet anstieg. Sie blieb mit dem Schuh an einem Stein hängen, geriet ins Straucheln, stürzte jedoch vorwärts und rannte
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