Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
Vom Netzwerk:
rechnen, keinen einzigen Mann zurückzubekommen. Der Gedanke, Mrs. Garrett sollte vielleicht gar als Lockvogel dienen, um seinen Männern eine Falle zu stellen, ließ ihn in Schweiß ausbrechen. Wie er es auch drehte und wendete – es schien keine befriedigende Lösung zu geben. Jedenfalls keine, die ihn in seiner Position vor gewaltigen Unannehmlichkeiten schützen konnte. Und das nur einer Frau wegen …
    Er fuhr herum, seinen ausgestreckten Zeigefinger in Richtung Lieutenant Garrett deutend. » Sie holen Ihre Frau zurück! Schließlich ist es Ihre Frau, und Sie haben keinen unbeträchtlichen Anteil daran, dass wir diesen Ärger am Hals haben! Sie kriegen ein Pferd und Material, Männer des Sultans von Lahej als Dolmetscher und Wegbegleiter, und dann reiten sie dort hinaus und bringen sie wohlbehalten zurück. Oder Sie brauchen sich hier nicht mehr blicken zu lassen!«
    »Aber Sir«, setzte Ralph an, das ist ein Himmelfahrtskommando , schluckte er den Rest des Satzes hinunter, als er Coghlan ansah, dass dieser sehr wohl wusste, was er da befahl. Wenige Meilen hinter der Landzunge, die die Halbinsel Adens mit dem arabischen Festland verband, begann Terra incognita , unbekanntes, unkartographiertes Land, und niemand, der aus Forscherdrang dort hinausgezogen war, war weit gekommen – oder lebend zurückgekehrt. Private Fisker sah ihn mitfühlend an und bekam gleich darauf ebenfalls den Zorn des Colonels zu spüren. »Und Sie reiten mit, Fisker, zur Strafe, dass Sie den Reiter haben entkommen lassen!« Ohne auf den entsetzten und gekränkten Gesichtsausdruck des Soldaten zu reagieren, ging Coghlan zurück zu seinem Schreibtisch, nahm die darauf liegende Mappe auf, um sie sogleich wieder fallen zu lassen. »Das ganze Unternehmen ist inoffiziell und auf eigene Verantwortung. Haben wir uns verstanden?!«
    »Da haben Sie uns ja schön in die Scheiße geritten«, zischte Private Fisker, als er neben Ralph hinaus in die Abenddämmerung trat.
    »Allerdings«, stimmte Ralph ihm mechanisch zu, ohne ihm wirklich zugehört zu haben. Er fühlte sich wie zerschlagen und wie betäubt, als hätte er sich gerade aus einer heftigen Schlägerei befreien können, doch zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich auch wieder lebendig. Endlich! Nach einem Jahr erzwungener Untätigkeit auf der Schreibstube endlich wieder eine Aufgabe! Er spürte die Vorfreude in sich aufsteigen, ungeachtet aller Schrecken, die dort draußen auf ihn warten mochten. Doch selbst die wildesten Phantasien von gellend johlenden Beduinenhorden, die mit gezückten Schwertern auf ihn zugaloppierten, waren nicht halb so beängstigend wie der Sturm an Gedanken und Gefühlen, der in ihm tobte. Hass und Ekel überrollten ihn bei der Frage, was die Entführer Maya wohl angetan hatten oder noch mit ihr vorhatten. War sie verletzt, hatte sie Schmerzen? Womöglich waren sie in diesem Augenblick gerade dabei, ihr Leid zuzufügen – sich ihres Körpers zu bemächtigen, sie zu schänden? Ein Gefühl der Scham übermannte ihn, als er daran dachte, wie lästig sie ihm in den vergangenen Monaten oft gewesen war: Erst mit dieser Anhänglichkeit, aus Langeweile und der Trennung von ihrer Familie geboren, dann mit ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit und Zuversicht, die ihm Trost hätten sein sollen, ihn aber nach Luft ringen ließen und ihn in die Arme der Huren getrieben hatten, später dann mit ihrer scheinbar nicht enden wollenden Trauer um Jonathan. Natürlich hatte auch er um den Freund getrauert, aber Jonathan war in den Krieg gezogen wie ein Soldat, und Soldaten starben nun einmal. Er schämte sich für die Wut, die so oft in ihm gebrodelt hatte, wenn er sie angesehen hatte und daran denken musste, dass er ihretwegen hier, an diesem grässlichen Ort, auf diesem undankbaren Posten gelandet war. Weil sie ihn mit ihrer fremdartigen, dunklen Schönheit, die ihn so sehr an Indien erinnerte, betört hatte, so sehr, dass er nächtelang nicht hatte schlafen können bei dem Gedanken, sie nicht wieder zu sehen, sie nicht heiraten zu können.
    Noch mehr schämte er sich ob seiner Erleichterung, dass nicht er selbst schuld an ihrem Verschwinden war, dass er sie lieber in feindlichen Händen wusste denn aus freien Stücken auf dem Weg zu Richard Francis Burton.
    Lange hatte er in der vergangenen, durchwachten Nacht mit sich gerungen, den Stapel vergilbter Briefe in Sichtweite, bis letztlich Neugierde und Eifersucht die Oberhand gewonnen hatten. Und schließlich waren die Briefe ja

Weitere Kostenlose Bücher