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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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schlimm?«, fragte sie nun. Als Dr. Steinhäuser zögerte, beeilte sie sich hinzuzufügen: »Ich stamme aus einer Arztfamilie – Sie können also getrost offen sprechen.«
    Über Dr. Steinhäusers jungenhaftes Gesicht huschte ein anerkennendes Lächeln, ehe er leicht seinen Kopf wiegte. »Die mit Widerhaken versehene Speerspitze drang hier«, er legte die Spitze seines Zeigefingers auf sein linkes Jochbein, »ein, durchstieß den Gaumen in einer Diagonalen abwärts, brach ihm ein paar Backenzähne heraus und trat hier unten«, sein anderer Zeigfinger tippte an seine rechte Wange, »wieder aus. Leider war ich nicht in der Stadt, als er vom Anleger ins Hotel getragen wurde, aber der diensthabende Arzt hat gute Arbeit geleistet. Essen, trinken und sprechen ist durch die offenen Wunden noch schwierig, aber das Fieber sinkt bereits, und ich bin zuversichtlich, dass alles schnell verheilt.« Er machte eine Pause, überlegte, ob er noch Weiteres über den Zustand seines Freundes und Patienten verlauten lassen sollte; etwas, was ihm eindeutig mehr Sorgen bereitete als die offenen Wunden in Richards Gesicht. Doch er entschied sich, dass eine Geschlechtskrankheit im fortgeschrittenen Stadium nichts war, was er einer jungen Dame zumuten konnte, Arztfamilie hin oder her. Dass dadurch Richards Körper geschwächt war, ihm so das feuchtheiße Klima der kommenden Monate ebenso zum Verhängnis werden konnte wie die Keuchhustenepidemie, die in der Stadt ausgebrochen war, verschwieg er ebenfalls, um Maya nicht zu beunruhigen. »Möchten Sie es nächste Woche noch einmal versuchen? Vielleicht zeigt er sich entgegenkommender, wenn der Heilungsprozess weiter fortgeschritten ist.« Maya nickte, wenig überzeugt, und wandte sich zum Gehen.
    Doch als sie eine Woche später wiederkam – eine Woche, in der sie mit sich gerungen hatte, ob sie das Medaillon ihrer Großmutter auf den Märkten Adens zu Geld machen sollte, es dann aber doch nicht übers Herz gebracht hatte; die Woche, in die ihr zweiundzwanzigster Geburtstag gefallen war, den Ralph einfach vergessen hatte –, war Richard Francis Burton aus Aden abgereist, zurück nach England.
    »Den hat er für Sie hiergelassen«, sagte Dr. Steinhäuser, als er Maya einen an sie adressierten Brief übergab. Ungeduldig riss sie ihn auf.
    Maya,
    Du bist gewiss gekränkt, dass ich Dich nicht sehen wollte. Aber mit meinen Verletzungen war und bin ich kein schöner Anblick (so ich es jemals zuvor gewesen bin; immerhin hat mir der gute Styggins versprochen, dass ich beeindruckende Narben davontragen werde), und die Schande dieser fehlgeschlagenen Expedition trägt ebenfalls nicht dazu bei, dass ich Dir aufrechten Blickes hätte gegenübertreten können, obwohl mich an dem Unglück keine Schuld trifft. Coghlan, der an Spekes Krankenlager sogar Tränen vergossen hat, wie man mir berichtete, sieht es anders, ebenso Playfair & Co. Sie wollen, dass ich dafür büße, was meiner ohnehin kränkelnden Karriere in der Armee nicht förderlich sein wird. Nicht nur deshalb trage ich mich mit dem Gedanken, mich nach meiner Rückkehr nach England für die Krim zu bewerben, in der Hoffnung, mich in diesem Krieg zu bewähren und mir so endlich die längst fällige Beförderung zu verdienen. Nenn mich sentimental – denn auch wenn der sonst so überschätzte Patriotismus in diesen Überlegungen keinerlei Rolle spielt, so durchaus das Gedenken an Deinen Bruder.
    Adieu, auf bessere Tage
    R.
    Mayas Knie gaben unter ihr nach, und sie fühlte sich von Dr. Steinhäuser sanft in Richtung eines der Stühle geschoben, hörte, wie er nach einem seiner Diener rief und ihr gleich darauf ein Glas Wasser reichte. Der Rand schlug ihr klappernd gegen die Zähne, als sie sich bemühte, in kleinen, langsamen Schlucken zu trinken, so stark zitterte ihre Hand. Dankbar und sichtlich ruhiger reichte sie dem Arzt das leere Glas zurück, tat ein paar tiefe Atemzüge. Sie hätte damit rechnen müssen, dass ihn die Nachricht vom Kriegstod ihres Bruders über das Kasino und Dr. Steinhäuser erreichen würde, auch wenn sie selbst in den vergangenen Wochen und Monaten den monatlichen Damenkränzchen ferngeblieben war. Doch keinesfalls hätte sie damit gerechnet, dass sie bei Richard eine solche Reaktion auslösen würde.
    »Was habt ihr Männer nur immer mit euren Kriegen?«, murmelte sie schließlich gedankenverloren, und Dr. Steinhäuser lachte auf.
    »Das wissen wir wohl selbst nicht so genau!« Verlegen zuckte er mit den Achseln. »Es hat

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