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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Silben, von einer Männerstimme im Befehlston hervorgebracht. Noch ehe sie den Kopf wenden konnte, fühlte sie sich hart an den Schultern gepackt und von der Wache weggezerrt. Man stieß sie in den Raum hinein, wo sie taumelnd gegen die Wand prallte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Frau erschrocken hinaushuschte, sich die Tür wieder schloss, aber eine dunkle Gestalt mit ihr in der Kammer blieb. Maya stürzte vorwärts und griff sich den tönernen Becher vom Boden, schleuderte ihn mit voller Wucht in eine Ecke, dass er zerbrach. Hastig sammelte sie eine große, spitz zulaufende und scharfkantige Scherbe auf und richtete sie auf den Mann. » Yalla rûh , hau ab!«, rief sie ihm entgegen, mit einer Stimme, die zu ihrer eigenen Überraschung sehr gefasst klang. Ihr Zorn gab ihr Kraft: der Zorn darüber, dass ihr Fluchtversuch missglückt war, und Zorn auch über ihre eigene Dummheit, weil sie geglaubt hatte, einfach davonlaufen zu können. Breitbeinig stand sie da, jeden Muskel ihres Körpers angespannt, um sich zu verteidigen, und doch verspürte sie Angst: Ihr Gegenüber sah nicht so aus, als ob er sich von einer Tonscherbe würde beeindrucken lassen. Für einen Araber war er recht groß, wohl größer sogar noch als Maya und um einiges kräftiger. Zweifellos war er in der Lage, sie im Handumdrehen zu überwältigen, ehe sie ihm auch nur einen Kratzer beigebracht hätte. Doch er machte keine Anstalten, sich zu bewegen, weder, um den Raum zu verlassen, noch um auf Maya zuzukommen; er stand einfach nur da, aus den Schatten des Raumes emporwachsend, und sah sie an. Aufgrund seiner Kleidung aus schwarzblauem Tuch nahm Maya an, dass er einer der Männer war, die sie am Turm des Schweigens entführt hatten, oder zumindest zu ihnen gehörte. Er war schwer auf ein bestimmtes Alter zu schätzen, Anfang, Mitte dreißig vielleicht, mit massiven Gesichtszügen. Und es waren weniger seine Patronengurte oder der Krummdolch, der in seinem breiten Ledergürtel steckte, die ihn so bedrohlich wirken ließen, als vielmehr sein schulterlanges schwarzes Haar, die Art, wie er sein bebärtetes Kinn vorschob, während er sie musterte, und die Narben in seinem Gesicht, von denen eine seine dichten Augenbrauen durchschnitt.
    »Yalla rûh« , wiederholte Maya noch einmal mit nachdrücklicher Betonung, aber es klang weniger überzeugend als beim ersten Mal, und auch ihre Hand zitterte, als sie eine abwehrende, ruckartige Geste mit der Tonscherbe machte. Seine dunklen Augen funkelten, als belustigte ihn ihre Wehrhaftigkeit, und doch glaubte sie darin auch einen Anflug von Respekt zu entdecken. In einer ruhigen, fließenden Bewegung hob er die Hände zu einer entwaffnenden Geste.
    »Ich tue Ihnen nichts«, sagte er auf Englisch mit hartem Akzent.
    »Sie sprechen meine Sprache?« Maya blickte misstrauisch, als witterte sie eine Falle.
    Er neigte leicht seinen Kopf. »Ein wenig.«
    »Was wollen Sie von mir?« Geschichten kamen ihr in den Sinn, von europäischen Frauen, die geraubt und in den Harem eines lüsternen Sultans gebracht worden waren, und ein kalter Schauder durchlief sie. »Ich besitze nichts Wertvolles, außer diesem hier.« Mit der anderen Hand hielt sie ihm das Medaillon um ihren Hals entgegen, wie um es ihm für ihre Freilassung anzubieten. Seine Hände unverändert erhoben, ging er langsam zu dem Strohsack hinüber, ohne seine Distanz zu Maya zu verringern oder seinen Blick von ihr abzuwenden. Maya machte ein paar gegenläufige Schritte, unsicher, was er vorhaben mochte, und hob vorsichtshalber ihre notdürftige Waffe noch ein Stück weiter an. Geschmeidig ließ er sich mit gekreuzten Beinen auf der Lagerstatt nieder, die Unterarme auf seine Knie gestützt, und tippte sich locker mit Zeige- und Mittelfinger an seine Wange.
    »Tut es noch weh?«, wollte er statt einer Antwort auf ihre Frage wissen. Automatisch fasste sich Maya an die Schläfe und schüttelte den Kopf. »Es tut mir sehr leid, dass Ali Sie geschlagen hat. Ich wollte ihn davon abhalten, aber es war schon zu spät«, erklärte er. Obwohl er hörbar mit bedächtiger Anstrengung seine Worte wählte, die weichen Laute schwer aus seinem Mund tropften, die harten dagegen leise grollten, hatte er zweifellos untertrieben, was seine Kenntnisse des Englischen anbetraf. »Ali ist noch sehr jung und muss erst lernen, dass auch ein Krieger gewisse Regeln zu befolgen hat. Man darf nie die Beherrschung verlieren, wenn man ohnehin überlegen ist – auch dann nicht, wenn man

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