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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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die sich gelöst hatten und die sie nach Gefühl wieder feststeckte. Wenn das Essen nun vergiftet war? Sie schob die Unterlippe vor, verzog sie nach links und rechts, während sie nachdachte, schließlich schüttelte sie kaum merklich den Kopf. Das machte doch keinen Sinn – warum sollte man sie auch vergiften? Hätte man sie einfach töten wollen, wäre es schon längst geschehen oder man ließe sie einfach hier verhungern und verdursten. Trotzdem mahnte sie sich selbst zur Vorsicht, als sie ein großes Stück aus dem flachen, weichen Laib rupfte, eine üppige Portion Gemüse darauf schaufelte und erst einmal daran roch, den scharf-würzigen Geruch einsog, ehe sie es vorsichtig in den Mund steckte. Es schmeckte köstlich, und heißhungrig machte sie sich über den Rest her.
    Während sie aß, spürte sie einen Luftzug, der nach Meer roch, und sie sah auf. Ihr Blick fiel auf eine quadratische Fensteröffnung in der gegenüberliegenden Wand, auf der Innenseite von sonnigen Lichtstrahlen umrahmt. Noch kauend, ihre Finger an ihrem Rock abwischend, stand sie auf und ging hinüber. Das Fenster lag relativ hoch, seine Unterkante etwa auf Höhe von Mayas Brustbein, und sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser hinausblicken zu können.
    Unter ihr erstreckten sich im abendlichen Farbenspiel aus Purpur, Pfirsichgelb und stählernem Blau die Bauten einer kleinen Stadt: akkurate Steinquader, dazwischen die Minarette und Kuppeln zweier schlichter Moscheen. Insgesamt nicht viel mehr als ein Fischerdorf vor einem Strand aus Sand und Felsen, auf dem die dreieckigen Segel an Land gezogener Boote hell leuchteten. Das Meer dahinter goldbetupft, in den unterschiedlichsten Blautönen changierend. »Immerhin, ein Zimmer mit Meerblick«, seufzte Maya in einem Anflug von Galgenhumor, stützte sich auf den Fenstersims, reckte sich darüber, bis sie senkrecht hinabsehen konnte. Ihr Gefängnis befand sich im dritten Stockwerk des Gebäudes; die Mauer darunter fiel glatt und senkrecht ab, sodass es keine Möglichkeit gab, hinauszuklettern oder einfach auf die palmengesäumte Sandpiste davor hinunterzuspringen, ohne sich einen Knochen zu brechen oder zumindest stark zu stauchen. Ganz abgesehen davon, dass das Fenster höchstwahrscheinlich zu eng war, als dass sie sich hätte hindurchquetschen können, wie sie feststellen musste, als sie sich wieder halb aufrichtete und sich den Hinterkopf am Fenstersturz stieß, ihre Schulter schmerzhaft die seitliche Kante streifte. »Verdammt«, entfuhr es ihr, und wütend trat sie gegen die Wand. Angst machte sich in ihr breit, dass sie hier für den Rest ihrer Tage bleiben müsste, da wohl außer ihren Entführern niemand wusste, wo sie sich befand. Sie zuckte zusammen, als sie den heiseren Schrei eines Vogels hörte, und verblüfft blickte sie dem hellen Federleib eines Falken nach, der fast zum Greifen nahe vor dem Fenster vorüberflog, in die letzten Lichtfelder hinein, die die untergegangene Sonne für einen Augenblick noch hatte stehen lassen. Als finge er darin Feuer, loderten seine Flügel auf, und er verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Ein Scharren von draußen vor der Tür ließ Maya sich umdrehen. Eine Frau trat herein, ein hölzernes Tablett mit einem Krug frischen Wassers vor sich hertragend, und beide blickten sich überrascht an. Die Frau wohl, weil sie nicht darauf gefasst gewesen war, Maya so munter zu sehen, und Maya, weil diese Frau zwar verschleiert war, aber kein Schwarz trug, wie sie es von den arabischen Frauen in Aden her kannte, sondern ein mehrlagiges Gewand in sattem Pflaumenblau und leuchtendem Rot, gelb bestickt. Die Frau verneigte sich mit niedergeschlagenen Augen und murmelte etwas Unverständliches, ehe sie sich daranmachte, den Krug auszutauschen und Teller und Eimer einzusammeln. Es war nur ein Augenblick, in dem die Frau ihr den gebeugten Rücken zudrehte und Maya gewahr wurde, dass die Tür halb offen stand. Ohne nachzudenken, rannte sie los, schoss durch den Türspalt hindurch, geradewegs in die Arme der daneben postierten Wache, die nur zuzugreifen brauchte. » Musadâ ,Hilfe!«, schrie sie in den kahlen Korridor hinaus, während sie mit dem Wachposten rang, der in ähnlichen Farben gekleidet war wie die Frau. Auf Englisch bedachte Maya ihn mit allen Schimpfnamen und Flüchen, die ihr einfielen, während er sie wiederum in einem so schnellen Arabisch anbrüllte, dass sie kein einziges Wort davon verstand. Schnelle Schritte erklangen hinter Maya, ein, zwei kurze

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