Unter dem Safranmond
einer der Männer auf Höhe der rechten Hinterhand ihres Pferdes, und die anderen beiden bildeten die Nachhut. Reitgerten schienen hier unbekannt; die Männer lenkten ihre Pferde allein mit Schenkeldruck und kaum merklichem Anspannen und Lockerlassen der Zügel. Einen Augenblick lang war Maya versucht, die ihres Pferdes herumzureißen und im Galopp zu fliehen. Doch sie merkte selbst, wie unsicher sie im Sattel saß, alle Kraft ihrer Muskeln benötigte, um sich im Schaukelgang oben und aufrecht zu halten, obwohl das Tier unter ihr lammfromm vor sich hin trottete. Morgen könnte ich es vielleicht versuchen ,dachte sie bei sich, morgen fühle ich mich bestimmt sicher genug. Oder übermorgen. An diesen Gedanken klammerte sie sich, während sie die Küste entlangritten, vorbei an einsamen Sandflächen, umspült von grünlich schillerndem Wasser; und auch noch, als sie wenig später einer Abzweigung ins Landesinnere hinein folgten.
Gut fünfundsiebzig Meilen südöstlich marschierte der Angestellte des provisorischen Postamtes von Aden fröhlich vor sich hin pfeifend durch die Garnison, wie er es jeden Vormittag tat. Am Bungalow von Lieutenant Garrett blieb er stehen, verstummte und wog nachdenklich einen Brief in seinen Händen. Wie ein Lauffeuer hatte sich im Camp die Neuigkeit verbreitet, dass Mrs. Garrett ihrem Mann davongelaufen war und dieser von Colonel Coghlan großzügigerweise nicht nur Urlaub bewilligt, sondern auch einen Soldaten zur Seite gestellt bekommen hatte, um sie ausfindig zu machen und zurückzubringen. »Was mache ich jetzt damit?«, knurrte der Postbote unwillig vor sich hin, während er überlegte. Schließlich zuckte er mit den Achseln, trat auf die Veranda und schob den Brief mit dem Konterfei Königin Viktorias auf der Marke kurzerhand unter der Tür hindurch. Frohgemut sprang er wieder auf die Straße und setzte pfeifend seinen Weg fort.
Doch es sollte lange niemand mehr in den Bungalow zurückkehren, um den Brief zu öffnen, in dem Gerald Greenwood seine Tochter bat, nach Hause zu kommen.
4
Die Straße war kaum mehr als ein über die Jahrhunderte von den Pferde- und Kamelhufen der Karawanen ausgetretener Weg. Steil und im Zickzack stieg er durch die in großzügigen Stufen aufeinanderfolgenden Felsebenen an. Geformt von der abrupten Gewalt des brodelnden Erdinneren, langsam abgekühlt und nur zaghaft von den Elementen abgeschliffen, glänzte der dunkle Stein um seine Risse und Furchen, wies skurrile Spitzen und Faltungen auf. Kraterlöcher säumten den Weg, waren teilweise mit Wasser aufgefüllt, das in grellem Grün leuchtete. Die Luft über den Bergen und den Sandflächen dazwischen flimmerte. Alles in der Ferne erschien unscharf und vergrößert, schrumpfte erst beim Näherkommen wieder auf ein normales Maß: vermeintliche Bäume zu Sträuchern, Sträucher zu Büscheln drahtigen Wüstengrases. Auf einer Anhöhe, von der aus Maya mit einem Blick über ihre Schulter noch die Häuser von Shuqra als weiße Punkte in der Ferne erkennen konnte, überstrahlt vom Funkentanz der Sonnenreflektion auf dem Wasser, wirkte das Lavafeld weniger barbarisch, und flache Stellen darin schienen gar weich wie grauer Samt. Doch gleich schoben sich wieder uralte Berge an den Pfad heran, ihre Flanken seit Ewigkeiten vom Wind abgebürstet und sandgescheuert, einzelne Brocken davon durch den Wechsel von heißem Tag und kalter Nacht abgesprengt und auf dem Grund zersplittert. Es war ein trockener Wind, der hier wehte, wie aus einem Ofen – als verbargen sich in den Felsspalten drachenähnliche Fabelwesen, die ihren glühenden Atem daraus hervorspien. Und es war eine stille Welt, durch die sie ritten, während die Sonne höher stieg. Kein Tier zeigte sich, und niemand sprach ein Wort. Das Schweigen bedrückte Maya wie eine schwere Last. Ein paar Mal hatte sie versucht, mit ihrem unbeholfenen Arabisch ein Gespräch mit Djamila zu beginnen – über die Hitze, die Berge, diese Landschaft, die in Mayas Augen keine war. Doch Djamila hatte sie immer nur mit einem vorwurfsvollen Ausdruck in den Augen angesehen, schließlich den Kopf geschüttelt und einen Finger auf das Tuch vor ihrem Mund gelegt. Und Maya war beschämt und verwirrt verstummt. So war nur das trockene Geklapper der Hufe zu hören, das Stampfen, mit dem das Gewicht der Pferde die Erde erschütterte und wie ein immerwährendes Flüstern im Hintergrund das flackernde Brausen des Windes, das zarte Knistern und Rascheln, wenn er durch die Zweige der
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