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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Kamelreiter in gebührendem Abstand neben Rashads Reitern einher, bis der wadi in ein Feld von zerstreuten Felsbrocken überging, zwischen denen ein ausgetretener Pfad hindurchführte. Dort machten ihre Begleiter Halt und hoben ihre Hände zum Gruß. Maya vermutete, dass hier ihr Stammesgebiet zu Ende war, was Rashad und seine Männer ihr gleich drauf mit ihrem Griff zu den Gewehren bestätigten. Die Sonne sank, kippte flammende Farbströme über Himmel und Steinbrocken. Der Pfad mündete schließlich in eine flache Mulde, eingebettet in einen großzügigen Steinkreis, ideal für einen Lagerplatz.
    Während die Männer wie gewohnt die Zelte errichteten, einer zwischen den Steinen herumkletterte, um trockenes Holz für ein Feuer zu sammeln, wanderte Maya voller Staunen zu den rechteckig beschlagenen Blöcken, die sich aus dem sandigen Boden in der Mitte erhoben und Maya um mehrere Haupteslängen überragten. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die narbige Oberfläche, versenkte sie in dem merkwürdigen Relief, sofern es noch nicht gänzlich verwittert war. Es ähnelte einer Keilschrift, nur aus großflächigeren Zeichen und ungleich ansprechender in seiner vielgestaltigen Form. Sie sah auf, als sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie Rashad sich ihr näherte, und ließ verlegen die Hand sinken, als befände sie sich in einem Museum und hätte verbotenerweise die Ausstellungsstücke berührt.
    »Es heißt, sie stammen aus der Zeit der Himyariten«, sprach er sie ohne Tadel in der Stimme auf Englisch an. »Der Stamm, durch dessen Gebiet wir vorhin gekommen sind, betrachtet sich als ihre Nachfahren. Himyar war ein altes Königreich vor vielen, vielen Generationen, lange vor der Ankunft des Propheten. Ein paar Meilen von hier existieren noch Ruinen einer Festung. Einst war Himyar so mächtig, dass es sogar das große, ruhmreiche Saba unterwarf. Bis das Reich von Aksum es schwächte und es schließlich unterging. Aksum – zusammen mit den Beduinenstämmen.« Unverhohlener Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er hinzufügte: »Darunter auch meine Vorfahren von al-Shaheen. Eine Legende, die von den Alten an die Jungen weitergegeben wird.«
    Maya spürte, wie ihr unter dem Hemd eine wohlige Gänsehaut über die Arme kroch. Vor weit über tausend Jahren hatten hier Menschen gelebt, war dies womöglich eine blühende Landschaft, eine belebte Stadt gewesen, und die steinernen Zeugnisse vor ihr vielleicht eine Kultstätte oder ein Denkmal für ruhmreiche Taten. Noch einmal streckte sie die Hand aus und berührte den von Wind, Sand, Sonne und Regen so vieler Jahre abgeschliffenen Stein, als könnte sie damit die seither vergangene Zeit überbrücken. Menschen waren geboren worden und gestorben, doch die Steinblöcke mit ihren eingemeißelten Zeichen hatten sie überlebt, bis heute. Ein Stück Ewigkeit. Unsterblichkeit.
    »Wo lag Aksum?«
    »Jenseits des Bab el-Mandeb.« Er ließ seine Augen zwischen der Steinstele und Maya hin- und herwandern. »Gefällt es Ihnen?«, fragte er leise, und in seiner Stimme schwang eine ungewohnte Weichheit mit.
    Maya nickte. »Ich bin sozusagen mit alten Inschriften aufgewachsen. Mein Vater beschäftigt sich damit.« Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch ihre Stimme versagte, als sich in ihr der unbändige Wunsch bemerkbar machte, sie könnte Gerald diese Steine zeigen, und ihr die Kehle eng wurde.
    »Dann wird Ihnen Nisab gefallen. Die Reste einer Handelsstadt«, er hob seine Hand Richtung Norden, »an der alten Weihrauchstraße. Wenn alles gut geht, erreichen wir sie in zwei Tagen.« Er zögerte, und die Worte, die er in sich trug, schienen ihm nur schwer über die Lippen zu kommen. »Wollen Sie mir erzählen – von Ihrem Vater? Später, am Feuer?«
    Der Flammenschein ließ die Risse um die Inschrift golden und bronzen aufglänzen, während das Licht der Sterne sie mit Silber übergoss. Vielleicht waren sie tatsächlich einmal mit Edelmetallen überzogen gewesen, die die Berührung der Jahrhunderte nach und nach abgerieben hatte – reich, wie Himyar gewesen sein musste, nach dem, was Rashad aus den Überlieferungen seines Volkes erzählt hatte. Himyars Wohlstand begründete sich im Handel mit Weihrauch und Myrrhe, beides Harze der einheimischen Bäume, die Maya auf ihrer Etappe heute aufgefallen waren und die damals als Medizin, Kosmetik und heiliges Räucherwerk mit Gold aufgewogen wurden.
    Maya erzählte von den Reisen ihres Vaters, seiner Faszination für alles Alte, das der

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