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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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starb mit einer englischen Kugel in seiner Brust. Ich stand neben ihm. Nicht viel, und sie hätte mich getroffen. Ich habe ihn in den Armen gehalten, bis zu seinem letzten Atemzug. Das ist schon viele Jahre her.« Seine Rede war frei von Anklage, von Vorwurf, aber nicht frei von zärtlicher Trauer.
    Sie schwiegen beide, weil es keiner Worte mehr bedurfte. Gemeinsam hielten sie Wache für ihre Toten, bis die Sterne verblassten und sie in das Lager zurückkehrten, wo jeder seinen Weg ging. Beide mit dem festen Vorsatz, so zu tun, als hätte es diese Nacht nie gegeben, und mit dem Wissen, dass ihnen das nicht gelingen würde.

6
     Der Lauf des Wadi Hatib bestimmte ihren weiteren Weg. Schmal zuerst, wie eine von Gottes Zeigefinger zwischen die steinigen Kuppen geritzte Ackerfurche. Oder von einer Teufelskralle , dachte Maya, als ihr Rashads Bezeichnung für diese Gegend wieder einfiel: Bilad ash-Shaitan , Land des Teufels. Poröser Stein mischte sich mit Sand auf den Abhängen, die langsam zurückwichen, als sich der wadi im Laufe des Tages verbreiterte. Wie feine Verästelungen eines Blutgefäßes zweigten sich aus der Mitte des Trockentals zur Bewässerung des Bodens kleinere Rinnen ab. Von Menschenhand durch Steinreihen begrenzt, zogen sie sich durch die Ebene bis an die Terrassenflächen zwischen Hang und Tal. Dennoch traf die Gruppe erst einige Meilen weiter auf Menschen: drei Männer, in verblichene rote und blaue Tücher gehüllt, die sich ihnen auf den Rücken von Kamelen näherten. Salim ritt vor zu Rashad, der ihm ein paar Münzen in die Hand drückte und ihren Trupp anhalten ließ, worauf Salim zu den Kamelreitern hinübergaloppierte, eine Hand zum friedensverkündenden Gruß erhoben. Maya nutzte diesen Augenblick, um ihr Pferd ein paar Schritte weitergehen zu lassen, ehe sie es zum Stehen brachte und einen scheuen Seitenblick auf Rashad warf, der Salims Verhandlungen skeptisch aus der Ferne beobachtete. So ging es schon den ganzen Tag, seit sie in der Frühe losgeritten waren. Sie mieden einander, wechselten weder ein Wort noch mehr als einen flüchtigen Blick. Dennoch zog ein unsichtbares, elastisches Band sie immer wieder zueinander, ließ Mayas Pferd anscheinend wie von selbst in schnelleren Trab verfallen, Rashads Fuchs seine Gangart verlangsamen, ehe ihre Reiter sich dessen bewusst wurden und willkürlich die räumliche Distanz zwischen ihnen wieder vergrößerten. Und ebenso willkürlich richtete Maya nun ihren Blick auf Salim, der sich mit den drei Männern scheinbar rasch einig geworden war, denn er überreichte ihnen das Geld und kehrte umgehend zurück. »Wir können weiter«, rief er Rashad zu, der rasch seine Augen wieder von Maya abwandte, nickte und sein Pferd mit einem Schenkeldruck weitertraben ließ.
    Erst einige Zeit später sahen sie menschliche Behausungen: festungsähnliche Gebäude, dicht an die Ausläufer der Hügel gerückt, von denen sie kantige Auswüchse zu sein schienen. Dann kam lange nichts mehr, woran sich das Auge erfreuen oder festhalten konnte, und Maya empfand dies als das eigentlich Teuflische an diesem Landstrich. Meile um Meile, Stunde um Stunde die zum Verwechseln ähnliche Abfolge von Szenerien und Bildern: Stein und Sand, Fläche und Steigung, Tamarisken und knorrige Bäume, die etwas Alttestamentarisches hatten, und der eingespielte Tagesablauf zwischen Ritt und Rast verstärkte diesen Eindruck der Monotonie noch.
    Zu Mayas Erleichterung und zur Freude ihrer müden Augen verengte sich der wadi wieder, und ihre Pferde wechselten in Reih und Glied in einen trocken liegenden, steingesäumten Kanal. Trotzdem gab es hier windgekämmte Teppiche reifer Gerste und mit dem grünen Hauch keimender Saat überzogene Flicken brauner Erde, versorgt von einem Brunnen, aus dem ein Esel und ein Kamel per weithin quietschendem Flaschenzug das notwendige Nass heraufholten. Wie ungerecht Ödnis und Fruchtbarkeit hier verteilt sind … Auf einer Erhebung stand ein Dorf – niedrige Steinhäuser um eine trutzige Burganlage –, das auf verblüffende Weise einer mittelalterlichen europäischen Stadt glich. Nur der Kuppelbau und die mit rohen Steinhaufen markierten Gräber unterhalb machten diese Ähnlichkeit sogleich wieder zunichte. Auch hier näherten sich ihnen Männer auf Kamelen, zu fünft dieses Mal, und wieder war es Salim, der als Abgesandter zu ihnen ritt, um das Wegegeld feilschte und sich gütlich mit ihnen einigte. Wie ein farbiger Schatten im Nachmittagslicht zogen die

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