Unter dem Safranmond
Überfall sei nur ein böser Traum gewesen. Zumal Rashads Männer die Leichen wohl noch in der Nacht weggeschafft und sogar Sand über die Blutlachen auf dem Boden geschaufelt hatten, sodass keine Spuren mehr sichtbar waren, als Maya aus ihrem Zelt trat. Allein Rashads Verhalten ihr gegenüber zeigte, dass etwas geschehen war, dass die Bilder und Geräusche, die Maya bis in den Schlaf verfolgt hatten, Wirklichkeit gewesen waren.
Rashad hielt sich fern von ihr, sein Gesicht verhüllt und die Augen stets von ihr abgewandt. Sein Pferd trabte weit voraus, so weit, wie es der geröllübersäte Pfad zwischen den Felsen und erkalteten Lavaströmen, scharfkantig und pechschwarz, zuließ. Es war ein mühseliger Ritt für Mensch und Tier, fast noch beschwerlicher als oben am Pass von Talh, doch dieses Mal half Rashad ihr nicht. Maya ertappte sich dabei, wie sie seinen Rücken anstarrte, fieberhaft nach einem Grund suchte, ihn anzusprechen, etwas zu fragen. Etwa, als auf einem schwarzen Bergrücken die verfallenen und zerbröckelten Mauern einer alten Festung zu sehen waren und sie zu gerne gewusst hätte, ob es sich dabei tatsächlich um diejenige des Königreiches von Himyar handelte, von der er ihr am Tag zuvor erzählt hatte. Es dürstete sie nach seiner Aufmerksamkeit, wie er sie ihr gestern an den mit Inschriften versehenen Steinblöcken und nach dem Überfall geschenkt hatte, und ihre Wangen brannten, als sie sich dessen gewahr wurde. Sie biss die Zähne zusammen und schalt sich eine Närrin. Gewiss trieb er sie alle nur deshalb zur Eile an, um diesen unwirtlichen Landstrich so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, das war der einzige Grund.
Denn von der Erhebung, auf die der steinige Pfad sie geführt hatte, blickten sie auf einen breiten, sandgefüllten wadi und eine staubige Ebene hinab, die bis an den Horizont reichte. Bilad ash-Shaitan . Maya holte tief Luft, unterdrückte das angstvolle Ziehen in ihrer Magengegend und ließ ihr Pferd die flach abfallende Böschung hinuntergaloppieren, immer Rashad hinterher.
»Ihr müsst auf den weißen Kreis zielen und möglichst treffen«, flüsterte Muhsin Lieutenant Ralph Garrett zu, der ihm einen Hilfe suchenden Blick zugeworfen hatte. »Drei Mal. Der Sultan darf nicht den Respekt vor Euch verlieren und Euch als unterlegen betrachten.«
»Mit dem Revolver oder dem Gewehr?«, erwiderte Ralph ebenfalls im Flüsterton.
Muhsin unterdrückte sichtlich den Impuls, die Augen gen Himmel zu verdrehen und zuckte lediglich mit den Schultern. »Das bleibt Euch überlassen.«
Ralph warf einen verunsicherten Blick in Richtung des Sultans von Lodar, der unbeweglich wie eine tönerne Statue ein paar Schritte von ihm entfernt stand. Nur die zusammengezogenen grauen Augenbrauen unter der faltigen Stirn verrieten, dass er sich in seiner Ehre gekränkt zu fühlen drohte, begann Ralph nicht bald mit seinem Teil der Begrüßungszeremonie. Während man in Bombay und Kalkutta noch zögerte, die Soldaten mit den kleinen Faustfeuerwaffen amerikanischer Herstellung auszustatten, hatten Haines und seine Nachfolger aufgrund der oft kritischen Lage in Aden Nützlichkeit über Tradition und alten Zwist mit der ehemaligen Kolonie gestellt und etliche Revolver verschiedener Bauart für das Magazin der Garnison angeschafft. Freundlicherweise hatte Colonel Coghlan auch Lieutenant Ralph und Private Fisker jeweils einen davon samt reichlich Munition für ihre Mission zur Verfügung gestellt. Kurz entschlossen zog Ralph deshalb seinen Colt Dragoon aus dem Holster, das auf Hüfthöhe an einem quer über dem Oberkörper verlaufenden Gurt hing, legte an, spannte den Hahn und feuerte in schneller Folge drei Schüsse ab, die allesamt weniger als einen Inch voneinander entfernt in das Ziel auf der Hauswand einschlugen. Zufrieden musterte er das Ergebnis, und so entging ihm das interessierte Glitzern in den Augen des Sultans, das der handlichen Waffe galt, mit der sich mehrfach hintereinander schießen ließ, ohne nachladen zu müssen, sondern nur die Betätigung eines Hebels zwischen den einzelnen Schüssen erforderte.
Ralph trat zurück und überließ das Feld dem Sultan von Lodar und nach ihm seinen Söhnen, ehe die beiden Reihen der Soldaten ihren einstimmigen Salut abfeuerten und der Sultan Ralph herzlich die Hand schüttelte. Muhsin sprang als Dolmetscher ein, da Ralphs Arabisch aufgrund seiner Schreibstubentätigkeit, die nur englischsprachige Korrespondenz mit der Verwaltung in Bombay umfasste, sehr
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