Unter dem Safranmond
Boden gedrückt. »Runter. So bleiben«, raunte er ihr zu. Dann war er fort, und sogleich ertönte vielstimmiges, gellendes Geheul, das von außerhalb des Lagers und blitzschnell näher kam. Rufe, Schüsse, Schreie, Keuchen, Metall auf Metall, abrupt verstummend, neu einsetzend. Maya kauerte sich weiter auf den Knien zusammen, die Hände schützend über Kopf und Nacken verschränkt und sich doch von allen Seiten her entsetzlich verwundbar fühlend. Sie wollte die Augen offenhalten, zu ihrem eigenen Schutz, und doch kniff sie sie ängstlich zusammen, wie sie es als ganz kleines Mädchen bei einem Gewitter immer getan hatte. Noch mehr Schüsse, die weit in die Nacht hinaushallten, und der Geruch von verbranntem Schwarzpulver. Dann ein Schlag, ganz in ihrer Nähe, der sie aufwimmern ließ. Und urplötzlich wieder Stille. Herrliche Stille. Beängstigend.
Maya blinzelte ein paar Mal, zwang sich dann, die Lider zu öffnen. Gab einen ersticken Laut von sich, als sie den Mann sah, der vor ihr im Sand lag, rücklings ausgestreckt. Sein Schwert war ihm aus den leblosen Fingern geglitten, die Klinge nicht weit von Maya entfernt. Die Augen aufgerissen, starrte er scheinbar in den glitzernden Himmel, den Mund erstaunt geöffnet, aus dem eine dunkle Spur über seinen Kiefer auf den Boden rann. In seiner nackten Brust, unweit des Herzens, klaffte ein ausgefranstes Loch. Maya tastete nach den Steinwänden, stützte sich daran ab, um wieder auf die Beine zu kommen. Ihr Magen machte einen erleichterten Satz, als sie Rashad in langen Schritten auf sich zueilen sah, in der Rechten sein Gewehr, den Lauf nach unten gerichtet.
»Geht es Ihnen gut?«, rief er ihr zu.
Maya nickte und wollte ihm entgegengehen. Da fiel ihr Blick auf einen von Rashads Männern, sein schulterlanges Haar unverhüllt und zerwühlt, wie er sein Schwert mit schleifendem Geräusch aus der Leibesmitte eines weiteren am Boden liegenden Mannes zog, die Klinge bis auf halbe Höhe dunkel und matt von Blut. Mit der Stiefelspitze trat er prüfend in die Seite des Toten. Sie sah sich weiter um. Rings um das Feuer und zwischen den Zelten konnte sie andere Schattenrisse von Körpern am Boden erkennen, sieben, acht, vielleicht noch mehr, und Mayas Beine knickten unter ihr weg. Etwas schlug neben ihr dumpf in den Sand, und sie fühlte sich aufgefangen und gehalten, gegen etwas Weiches gedrückt, in dem sich kleine, metallisch kühle Stellen gegen ihre Wange pressten. Doch darunter war etwas Festes, das eine wohlige Wärme verströmte, einen angenehm holzigen, wenn auch scharfen Geruch, sie darin einhüllte, und sie hörte ein Herz schlagen, schnell und erregt.
War das ihres?
»Es ist gut«, hörte sie Rashad murmeln. »Es ist alles gut.«
Langsam, in Ahnung dessen, was sie mit allen Sinnen wahrnahm, hob sie den Kopf. In Rashads Augen funkelte das kaum abgeebbte Jagdfieber des geborenen Kriegers, und doch stand dahinter etwas Ruhiges, Weiches, das Maya schlucken ließ. Er hob die Hand, als wollte er ihr über die Stirn streichen, doch er hielt inne. Sein kostbares Unterpfand , schoss es Maya durch den Kopf, und im selben Moment verdunkelten sich Rashads Augen, lösten sie beide sich mit einem Ruck voneinander. Brüsk wandte Rashad sich ab und hob sein Gewehr wieder auf.
»Ich bin in Ordnung«, erklärte Maya hölzern, strich sich in fahrigen Bewegungen über das Hemd und die Seitennähte der weiten Hosen und marschierte steifbeinig wie ein Zinnsoldat an Rashad vorbei durch das Lager, bemüht, keinen Seitenblick auf die toten Körper zu werfen, allein auf ihr Zelt konzentriert. Djamila, die vorsichtig durch einen Spalt der beiden Tuchbahnen vor dem Eingang gelugt hatte, hielt ihr die eine davon auf. Es war Djamilas Blick über ihrem Gesichtsschleier, der Maya stehen bleiben ließ. »Ihr seid eine tapfere Frau«, hörte Maya sie betont deutlich sagen. Die ersten Worte, die Djamila direkt an sie gerichtet hatte. Djamila, deren Gesicht Maya noch nie gesehen hatte, da sie es stets verhüllt hielt und immer allein aß.
Maya wollte etwas erwidern, doch sie fand auf Arabisch keine Worte, die das hätten ausdrücken können, was sie empfand. Schließlich schüttelte sie nur traurig und mit dem missglückten Versuch eines Lächelns den Kopf, ehe sie ins Zelt trat, froh um die Sicherheit und den Schutz, den die Dunkelheit innerhalb der Stoffbahnen ihr zu geben versprach.
7
So menschenleer war diese Gegend, dass Maya am nächsten Tag fast davon überzeugt war, der vereitelte
Weitere Kostenlose Bücher