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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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zusammen und sah auf das Wasser hinaus. »Ein Feuer. Bei uns im Stall. Ich wollte die Ziege holen. Ich war so«, sie hob die Hand und deutete damit die Größe eines etwa fünfjährigen Kindes an. »Damit«, ihre Stimme zitterte, und sie wies auf ihre Narben, »gab es für mich keinen Mann zum Heiraten mehr. Oder nur für viel Geld. Meine Familie war aber arm.« Sie atmete tief durch, als fiele es ihr schwer, weiterzusprechen. »Dann wurde ich vom Sultan gekauft, als Dienerin. Dort muss ich auch niemandem mein Gesicht zeigen.« Sie sah Maya mit einem Seitenblick an, der ironisch war und doch vergnügt und von einer Gelassenheit gegenüber ihrem Schicksal zeugte, der Mayas Zuneigung noch verstärkte. »Aber«, setzte Djamila erneut an und schüttelte leicht den Kopf, »das Gesicht ist auch nicht wichtig. Die Augen«, sie spreizte Zeige- und Mittelfinger zu einem V und deutete dabei abwechselnd auf ihre und Mayas, »die Augen sind wichtig.« Sie nickte nachdenklich, wie zur Bekräftigung. Impulsiv ergriff Maya ihre Hand. Djamila blickte auf ihrer beider Hände hinab, hob dann den Blick unverwandt in Mayas Augen und erwiderte ihren Händedruck ebenso fest.
    Zwei Tage und zwei Nächte folgten sie der alten Weihrauchstraße, entlang der Wüste und den Bergen. Ein einsamer Weg; nur drei Karawanen begegneten sie in dieser Zeit und überholten eine vierte, die offenbar ebenfalls in Richtung Ijar unterwegs war, aber mit ihren bepackten Kamelen gemächlicher voranzuckelte als Rashads Reiter. Zwei Tage, in denen wie gewöhnlich nur wenig gesprochen wurde, nicht zuletzt, weil der Gesichtsschutz vor dem kleinkörnigen Sand in der Luft unverzichtbar war. Zwei Nächte aber, in denen Maya und Rashad alles nachholten, was unter der gleißenden Sonne ungesagt blieb. Als läge ein böser Zauber auf ihnen, der sie des Tags mit Stummheit schlug und ihnen nur erlaubte, bei Feuerschein und Sternenlicht frei zu sprechen. In einer gemeinsamen Sprache, in der sich ihre beiden mischten und zu einer neuen verzahnten, der allein sie mächtig waren. Die Nacht schuf Vertrautheit und Nähe, in der es leicht war, zu erzählen; Geschichten aus der Vergangenheit, die immer so viel näher ist, wenn kein Tageslicht die Gegenwart scharf konturiert ins Auge springen lässt. Wie die Beduinen saßen sie beieinander und teilten ihre Erinnerungen.
    Und so wurde in den Schatten der Nacht Black Hall lebendig, mit seinen dunklen Winkeln in den Korridoren, seinen Giebeln und Dachgauben, dem Garten mit Mayas Schaukel unter dem Apfelbaum. Gerald und Martha, Jonathan und Angelina wanderten umher, wie Luftspiegelungen der Wüste, deutlich zu sehen, aber nicht greifbar, ließen sich abwechselnd am Feuer nieder, lauschten den Geschichten, die Maya über sie erzählte, nickten zustimmend, ehe sie sich wieder erhoben und in die Dunkelheit zurückglitten. Richard setzte sich eine Weile zu ihnen, und sein Bart zuckte amüsiert, als er Mayas Version seiner Reisen und Abenteuer hörte, leistete aber keinen Widerspruch. Zog jedoch angestrengt die Augenbrauen zusammen, als sie erzählte, wie sehr sie ihn geliebt und wie sehr sie gelitten hatte. Wie sehr sie danach strebte, es ihm, Captain Richard Francis Burton, an Wagemut und gelebter Freiheit gleichzutun, und wie sie mit dem Versuch gescheitert war, an Ralphs Seite nach einem solchen Leben zu greifen. Maya verfolgte keinen Zweck mit dem, was sie Rashad erzählte; es war ihr schlicht ein Bedürfnis, und er erwies sich als guter Zuhörer, aufmerksam und geduldig. Wie auch Maya eine gute Zuhörerin war, als Rashads Worte die Berge heraufbeschworen, in denen er aufgewachsen war, rings um den Jabal Sa’fan. Er gab wenig Persönliches von sich preis, nicht mehr als das, was Maya ohnehin schon von ihm wusste. Lieber hielt er sich an die Überlieferungen seines Stammes. Wie die Erzählung, in der ein junger Scheich eines Tages einen wertvollen Ohrring aus dem Sand der Wüste auflas. Er beauftragte eine alte, weise Frau, die Besitzerin zu suchen. Als die junge Frau, schöner als jedes Geschmeide, gefunden ward, überreichte sie dem Scheich den anderen Ohrring mit den Worten »damit sie wieder vereint seien«. – »Eine Schönheit mit dem großen Herzen eines Prinzen«, erklärte der Scheich daraufhin und beschloss, sie zu seiner Frau zu machen. Mit seinem Reichtum und seiner Macht warb er erfolgreich um ihre Gunst, brachte sie zu seinem Stamm und heiratete sie. Doch in der Hochzeitsnacht begegnete ihm der Vetter der Braut, der ihm

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