Unter dem Safranmond
Schließlich legte Djamila die Seife beiseite und streifte langsam ihr rotes und blauviolettes Obergewand über den Kopf, das ein dünnes Unterkleid in dunklem Lila, an den Säumen und dem geschlitzten Halsausschnitt mit weißen Bordüren bestickt, enthüllte, von den Rundungen ihres nicht ganz schlanken Körpers ausmodelliert, schlüpfte aus den ledernen Pantoffeln und machte einen Schritt ins Wasser, das sofort den Saum ihrer Hosen dunkel färbte. Sie schien zu überlegen, geradezu mit sich selbst zu kämpfen. Dann ging ein tiefer Atemzug durch ihren Körper, als müsste sie sich zu etwas überwinden, und sie hantierte umständlich mit ihrem Gesichtsschleier, zog dann das gesamte Tuch herunter, den Kopf wie unter großer Scham gesenkt haltend.
Im ersten Moment hatte Maya nur verblüfft festgestellt, dass Djamila wohl sehr viel älter war, als sie sie geschätzt hatte, oder zumindest so aussah. Die tiefen Linien um Nasenflügel und Mundwinkel, zusammen mit den zahlreichen Silbersträhnen im straff zusammengebundenen braunen Haar, legten nahe, dass sie vielleicht Anfang fünfzig war. Doch gleich im nächsten Augenblick legte sich Mayas Hand vor ihren Mund, um einen entsetzten Laut zu unterdrücken. Denn vom Hals aufwärts über das Kinn bis zum linken Wangenknochen zogen sich die groben Linien geröteten Narbengewebes, das auch den einen Mundwinkel mit einschloss, der auf grausame Art in einem freudlosen Lächeln erstarrt war. Maya schluckte, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Jetzt begriff sie, weshalb Djamila immer so sorgsam darauf geachtet hatte, nie ihren vorgeschriebenen Schleier in Mayas Gegenwart abzulegen, auch dann nicht, wenn sie unter sich waren und es erlaubt gewesen wäre. Maya fühlte sich hilflos, war unsicher, wie sie reagieren sollte, und das Einzige, was ihr einfiel, war, Djamila mit dem Bein eine Wasserfontäne entgegenzuschaufeln, die das Untergewand bis auf Hüfthöhe bespritzte. Wie ein kleines Mädchen, das ein anderes, ihr fremdes Kind zum Spielen auffordert, legte sie dabei den Kopf schräg und lächelte schüchtern. Djamila sah sie erschrocken an, und als Maya sich bückte und ihr mit einem Kichern aus beiden Händen mehr Wasser entgegenschüttete, begriff sie. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem entstellten Gesicht aus, ging in ein Lachen über, das für eine Frau erstaunlich tief und kratzig klang, und erst zaghaft, dann mutiger revanchierte sie sich bei Maya. Unter Gelächter und Gekreisch sprangen und tollten die beiden Frauen im Wasser umher, als wären sie keine zehn Jahre, spielten Fangen und ließen die glatte Oberfläche hoch aufsprudeln und schäumen. Während sie außer Atem innehielten, Djamila sich vorbeugte und Wasser auf ihr Haupt schöpfte, richtete Maya sich auf und sah, wie ihnen oben an der Böschung Rashad seinen Oberkörper zugewandt hatte, die Arme über der Brust gekreuzt, und sie glaubte, ein feines Lächeln um seine Lippen erkennen zu können. Mayas Augen wurden schmal. Übermütig streckte sie sich zu voller Größe, drückte ihr Rückgrat durch und sah Rashad fest entgegen, wohl wissend, dass der zarte weiße Batist ihr am ganzen Leib klebte, in seiner nassen Durchsichtigkeit mehr enthüllte denn verbarg. In stummer Herausforderung stand sie da, sich ihrer Weiblichkeit gänzlich bewusst, und etliche Sekunden verstrichen, ehe Rashads Lächeln sich vertiefte und er sich wieder umwandte, betont langsam.
Eingeseift und abgespült, die Haare gewaschen und mit einem Kamm geglättet, nach dem Olivenöl und Jasmin der Seife duftend, saßen Maya und Djamila nebeneinander am Ufer, um sich von der Sonne trocknen zu lassen, wo auch Mayas Strümpfe lagen, die sie gründlich mit Wasser und dem Seifenstück bearbeitet hatte. Djamila kramte in ihrem Obergewand herum und zog aus einer eingenähten Tasche eine Handvoll flacher Küchlein hervor, nicht größer als ein Geldstück.
»Hier«, bot sie sie Maya an, »ein Geschenk vom Fest gestern.« Sie war hörbar bemüht, langsam und deutlich zu sprechen; ihre Worte kamen ein klein wenig verzerrt aus ihrem verzogenen Mund. Maya mochte Djamilas Stimme, die etwas heiser war und doch voller Wärme. Mit schelmischem Blick teilten die beiden Frauen die Süßigkeiten untereinander auf, die knusprig waren und klebrig süß, nach Mandeln und getrockneten Früchten schmeckten.
»Djamila«, begann Maya, als sie den Mund wieder leer hatte. »Wie …« Sie verstummte und deutete mit dem Finger auf ihr eigenes Kinn.
Djamila kniff die Augen
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