Unter dem Safranmond
mitteilen. Und trotz ihres Vorsatzes, so rasch wie möglich vergessen zu wollen, überfiel sie Angst bei der Vorstellung, etwas von ihren Erlebnissen könnte verloren gehen. Weil Erinnerungen so ungleich flüchtiger waren als das geschriebene Wort, sie darüber hinaus hoffte, auf Papier Gebanntes beruhigt aus ihrem Gedächtnis löschen zu können, setzte sie sich an Jonathans Schreibtisch und begann das Erlebte aufzuschreiben. Hastige Kritzeleien zuerst, unleserlich, so ungeduldig jagte sie die Federspitze über das Papier, um Gedankenfetzen, Bruchstücke von Sätzen, die gedacht oder gesagt worden waren, festzuhalten. Erst später nahm sie sich Zeit, die richtigen Worte für das zu finden, was sie vor ihrem inneren Auge sah, was an Gefühlen noch einmal durch ihren Leib zog, was an Sinneswahrnehmungen noch in der Erinnerung haften geblieben war. Satz folgte auf Satz, Abschnitt auf Abschnitt, Seite auf Seite, aufgefädelt wie Glasperlen auf einer Schnur.
Ohne dass sie es beabsichtigt gehabt hätte, schrieb Maya über sich in der dritten Person. Nicht, weil sie die Entdeckung des rasch wachsenden Stapels fürchtete, den sie in einer Schublade von Jonathans Schreibtisch verschloss – in einem Raum, dessen Oberflächen mittlerweile von einem pelzigen Flaum an Staub überzogen waren, da Martha Greenwood Hazel nicht gestattete, darin sauberzumachen und womöglich etwas dabei zu verrücken oder gar zu zerbrechen –, sondern weil Maya es anders nicht hätte ertragen können.
Falls Martha wusste, dass ihre älteste Tochter im Zimmer des toten Sohnes ein- und ausging, ganze Nachmittage darin verbrachte, so ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Wie in einer absurden Umkehrung früherer Verhältnisse suchte Martha ihre Nähe, ohne wirklich einen Schritt auf ihre Tochter zuzugehen, in dem gleichen Maße, in dem Gerald und Maya sich entfremdet hatten, ohne einander weniger Zuneigung entgegenzubringen. Es waren kleine Gesten – eine Berührung auf der Hand oder dem Arm, scheu, weil ungewohnt, und doch voller Zärtlichkeit. Auf Mayas Schreibtisch stand in diesem Herbst jeden Tag ein Teller mit Äpfeln und Weintrauben, und Hazel brachte einmal pro Woche die Rinderkraftbrühe auf den Tisch, für die Maya schon als Kind alles stehen- und liegengelassen und auch den Nachschlag bis zum letzten Rest ausgelöffelt hatte. Blicke, erst forschend, dann verlegen, wenn Maya ihre Mutter dabei ertappte. So viele Momente, in denen es den Anschein hatte, als wollte Martha Greenwood etwas sagen oder fragen und es sich dann doch im letzten Augenblick verkniff, sich brüsk abwandte, um die Astern und Chrysanthemen in der Vase neu zu ordnen oder die Uhr auf dem Kaminsims ein wenig zu verschieben.
Große Ereignisse indes standen in Black Hall bevor. Denn nachdem William Penrith-Jones über seinen Geschäftspartner Edward Drinkwater aus Summertown die Kunde erreicht hatte, dass die ältere der beiden Greenwood-Töchter, die ihm auf dem Gartenfest anlässlich des Geburtstages ihrer Tante Dora so angenehm ins Auge gefallen waren, sich vermählt hatte (die genaueren Umstände verschwieg Mr. Drinkwater aus Gründen der Schicklichkeit wie der Familienehre), hatte er sich nach kurzer Bedenkzeit entschlossen, um Angelina zu werben. Zwar besaß Mr. Penrith-Jones nicht die Attraktivität eines Lieutenant Garrett – hatte er doch mit seinem rötlichen Backenbart, der das sich lichtende gleichfarbige Haupthaar mitnichten kompensierte, sondern noch hervorhob, und seiner zur Fülle neigenden Gestalt so gar keine Ähnlichkeit mit eben jenem –, doch konnte er im Ausgleich dazu nicht zu unterschätzende Vorzüge sein Eigen nennen: Ihm eilte ein tadelloser Ruf voraus, er stammte aus einer sehr guten Familie, und Edward Drinkwater ließ auch nichts auf ihn kommen, weder in privater Hinsicht noch in Bezug auf Penrith-Jones’ Geschäftsgebaren (der »in Finanzen und Handel« machte). Darüber hinaus war Mr. Penrith-Jones, ohnehin von gutmütigem Wesen, in einem Alter, in dem man die Launenhaftigkeit einer Neunzehnjährigen äußerst charmant fand und selbst dann beharrlich blieb, wenn selbige junge Dame einem noch so oft die kalte Schulter und das hochmütig in die Luft gereckte Näschen zeigte. Auch Martha Greenwood zeigte sich sehr angetan von den Manieren des Enddreißigers. Besonders auch von seiner unaufdringlichen, aber sehr herzlichen Art, mit der er anlässlich des Trauerfalles kondolierte und es verstand, während der ersten Trauerzeit auf
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