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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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dem Hinweis im Keim zu ersticken wusste, Angelina habe unter all den vielen Sachen in ihrem Kleiderschrank einfach nichts, was auch nur annähernd den Anforderungen der Halbtrauer genügte. Daher hatte sich Angelina schmollend in ihr Schicksal fügen müssen, welches das harsche Urteil »blasslila und mausgrau« über sie verhängt hatte.
    »Das wird an den Nähten schon ganz dünn«, erklärte Angelina und zeichnete die Taille mit dem Finger nach, strahlte dann über das ganze Gesicht. »Wenn wir schon am Aussuchen sind, können wir doch gleich etwas für dich mitbestellen. Auf zwei oder drei Kleider mehr oder weniger kommt es da auch nicht an! William hat bestimmt nichts dagegen. Los, zieh dich aus, dann nehme ich Maß!« Voller Elan schleuderte Angelina das Modemagazin auf den nächststehenden Sessel und zerrte das Maßband herunter, das sie sich um den Hals gehängt hatte.
    »Hier, im Salon?« Maya sah zur offenen Tür hin.
    Angelina rollte mit den Augen und ließ die Fingerspitzen wählerisch über dem Sortiment an verschiedenen Kekssorten auf dem Beistelltischchen kreisen. »Sei doch nicht so prüde! Ist doch nur Familie und Personal im Haus, niemand, der dir etwas weggucken könnte!« Mit zufriedener Miene fischte sie ein Gebäckstück mit Marmeladenfüllung, das letzte seiner Art, vom Grund des Tellers und stopfte es sich in den Mund. »Mach schon!«, brachte sie mit vollem Mund kauend hervor und stampfte dabei leicht mit dem Fuß auf.
    Seufzend legte Maya ihr Buch beiseite, stand auf und schlüpfte, assistiert von Angelina, aus ihrem Kleid. »Hat Hazel es heute Morgen besonders eilig gehabt oder weshalb ist dein Korsett nur so locker geschnürt?«, schimpfte diese, als ihre Schwester in Unterwäsche vor ihr stand. »Das geht so nicht! Halt dich am Kaminsims fest!« Gehorsam tat Maya, was Angelina von ihr verlangte und ließ allen Atem aus den Lungen strömen, machte sich, so schmal es ging.
    »Hör auf, du zerquetschst mir die Eingeweide«, keuchte sie sogleich, als Angelina mit aller Kraft an den Bändern des Mieders zog und zerrte, und stöhnte erleichtert auf, als diese wieder nachgaben.
    »Maya, sei mir bitte nicht böse – aber du bist dabei, ganz gehörig aus dem Leim zu gehen!« Angelina schüttelte sich die Finger aus, die ihr von der vergeblichen Anstrengung wehtaten. »Ist ja auch nicht weiter tragisch, du hast ja schon einen Mann. Und dein Dekolleté ist ja mehr als beneidenswert! Da fällt mir ein – Cousine Mabel hat mir geschrieben, dass sie neulich …«
    Angelinas Geschnatter verschwand hinter dem Rauschen in Mayas Ohren, dem überlauten Pochen ihres Pulsschlages, als sie an sich hinabblickte. Ihre Brüste sprengten beinahe das Hemdchen, das ihr vor anderthalb Jahren noch tadellos gepasst hatte, quollen am Ansatz förmlich aus dem volantgesäumten Ausschnitt, bedrängten den tiefen Spalt dazwischen. Die seitlichen Stäbe des Korsetts stachen in ihre runder gewordenen Hüften, und unter dem an der Vorderseite spitz zulaufenden Mieder zeichnete sich unübersehbar ein Bäuchlein ab. Wann hatte sie zuletzt ihre monatliche Blutung gehabt?
    Maya überlegte fieberhaft. Auf dem Weg nach Ijar – daran erinnerte sie sich noch. Wie Djamila sie mit Tüchern versorgt hatte, die sie anschließend vergrub, darauf bedacht, dass keiner der Männer diese zu Gesicht bekam. Und danach … nicht mehr. Seit sie nach Black Hall zurückgekehrt war, lagen ihre Stoffstreifen und der mit Bändern versehene Gürtel, an dem diese bei Bedarf unter den langen Unterhosen angeknöpft wurden, unangetastet in ihrer Kommodenschublade. Zu aufreibend war der Weg zurück aus Ijar gewesen, zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, zu vergessen, sich hier in Oxford wieder zurechtzufinden, und sie litt noch immer darunter, ihr Zeitgefühl verloren zu haben. Vor allem aber hatte sie nicht darauf geachtet, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte.
    Aufstöhnend schlug sie die Hände vors Gesicht und ließ sich auf die Fußbank fallen, plötzlich zitterig vor brennender Scham. Ausgerechnet sie, die aus einer Arztfamilie stammte, wo man mehr über diese eigentlich für junge Damen verbotenen Dinge aufschnappen konnte, als eigentlich erlaubt war, wenn man nur Augen und Ohren offen hielt. Noch dazu hatte sie sich immerzu wissbegierig auf alles gestürzt, was sie darüber zu lesen gefunden hatte.
    »Maya?« Angelinas Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihr hindurch, auch wenn sie unmittelbar neben ihr stand und ihre Schulter

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