Unter dem Safranmond
Engelszungen auf seine Mutter einredete, sie möge Maya doch empfangen. Maya wollte keine Entscheidung treffen, ob sie hierbleiben oder an seiner Seite noch einmal in ein Abenteuer in der Fremde aufbrechen wollte. Sie war zufrieden mit ihrem Leben, mit der Ruhe, die sie hier, in ihrem Elternhaus, gefunden hatte, zwischen ihren Büchern und im regelmäßigen Tagesablauf der Mahlzeiten. Wie eine Nonne in ihrer Klosterzelle , dachte sie manchmal, und sie dachte es nicht ungern.
Auch ihre frühere Gewohnheit, zu fortgeschrittener Stunde bei ihrem Vater im Arbeitszimmer zu sitzen und zu lesen, hatte Maya wieder aufgenommen. Umso lieber, als der September bereits kühle Abende brachte und in seinen Farben von Kupferrot und Messing die Ahnung eines nebelfeuchten Herbstes trug. Herrliche Abende waren es, an denen ihr altes, wortloses Beisammensein wieder stattfand und die Stille des Raumes noch durch das Ticken der Standuhr betont wurde, das gleichmäßige Schlagen ihres Uhrwerks und das leise Echo des Kirchturms von St. Giles. Obwohl Maya nie eine Spur von Groll an ihrem Vater wahrnahm, keine Anzeichen dafür, dass er seine Enttäuschung über ihr heimliches Durchbrennen, seine Verletztheit darüber nicht tatsächlich überwunden hatte, wollte sich die alte Innigkeit zwischen Vater und Tochter nicht vollständig wieder einstellen. Manchmal spürte Maya seinen teils erstaunten, teils befremdeten Blick auf sich ruhen. Nicht ohne Liebe, das nicht. Aber mit einer gewissen Scheu, als vermochte er diese erwachsene, verheiratete Frau nicht mit dem kleinen Mädchen in Verbindung zu bringen, das ihm noch so lebhaft in Erinnerung geblieben war – selbst wenn die Person von Lieutenant Ralph Garrett ebenso wie ihre Zeit in Arabien selten in den Gesprächen bei Tisch Erwähnung fand.
Maya sah auf, als sie hörte, dass ihr Vater seine Pfeife im Aschenbecher ausklopfte und sie in das dafür vorgesehene Gestell hängte. Lächelnd sah sie ihm entgegen, die bestrumpften Beine seitlich unter den Röcken auf das rote Sofa hochgezogen, als er seine Lampe nahm und diese auf den Tisch vor ihr stellte. »Damit du dir nicht noch die Augen verdirbst«, erklärte er augenzwinkernd.
»Danke, Vater.«
Doch anstatt sich zu verabschieden und zur Nachtruhe zu begeben, musterte er den Bücherstapel neben der Lampe. »Darf ich?«
»Natürlich. Professor Reay hat sie mir geliehen.«
»Ah, der gute Reay!«, brummelte Gerald, das zuoberst liegende Buch in der Hand. »Ich bin ihm neulich in der Bod über den Weg gelaufen. Er schwärmt in den höchsten Tönen von deinen neu erworbenen Sprachkenntnissen.« Er rückte seine Brille gerade und überflog die ersten Seiten. »Altarabische Geschichte«, murmelte er erstaunt, und als er weiterblätterte: » Arabia felix . Saba. Himyar. Hadramaut.« Er ließ das Buch sinken und sah seine Tochter mit einem Blick voller Hochachtung an. »Interessantes Thema, wenn auch noch kaum erforscht. Ich meine«, er kratzte sich das graue Haupthaar, das sich an Stirn und Hinterkopf zu lichten begann, »ich meine mich zu erinnern, wie Richard Burton damals als Student davon gesprochen hatte. Hat er dir das nie erzählt? Seltsam … Er wollte wohl auch im Rahmen seiner Pilgerreise auf Spurensuche danach gehen. Hat sich aber wohl aus irgendwelchen Gründen zerschlagen, und er hat es nie wieder erwähnt. Richard soll ja nun auch auf der Krim sein, im Regiment von Beatson’s Horse , irreguläre Kavallerie.« Er machte eine Pause, in der er eigentümlichen Gedanken nachzuhängen schien, ehe er das Buch anhob und leise fortfuhr: »Bist du darauf gekommen, als …« Gerald zögerte sichtlich, seine Frage zu beenden.
Maya ließ sich einen Moment Zeit mit ihrer Antwort. Sie wollte weder ihren Vater belügen noch ihm erzählen, was ihr in Arabien tatsächlich widerfahren war – all die Erlebnisse, die zu verdrängen und zu vergessen sie sich jeden Tag aufs Neue bemühte.
»Ich war dort, Vater«, entgegnete sie daher schlicht. »Ich bin durch den Sand gegangen, der die alten Reiche verschüttet hat.« In ihrer Stimme schwang so viel Sehnsucht mit, eine Spur von Trauer und jene Art von Zärtlichkeit, die nur jemand kennt, dessen Geist und Seele ebenso von einem Ort, einer vergangenen Zeit gefesselt sind, dass Geralds Blick weich wurde und seine Miene ein warmes Lächeln erhellte.
»Das ist der beste Anreiz, den es gibt, um zu lesen und zu forschen, sich Fragen zu stellen und nach den Antworten darauf zu suchen.« Er legte das Buch
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