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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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zurück und beugte sich vor, um seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Der erste seit jenem Abend vor ihrem Fortgehen. »Gute Nacht, meine kluge Tochter.«
    »Gute Nacht, Vater.«
    Zuhause. Sie war wieder zuhause.

4
     Mit Amy Symonds schrieb Maya sich regelmäßig – Amy, die sich nach der ersten Trauer um ihren Verlobten um den Posten einer Krankenschwester im Hospital von Scutari beworben und trotz ihrer Unerfahrenheit in der aktiven Krankenpflege von Miss Nightingale ins Schwesterncorps aufgenommen worden war, da sie sich als Tochter eines Chirurgen über die Zeit gründliche medizinische Kenntnisse angeeignet hatte. In gewisser Weise war es leichter, mit Amy um Jonathan zu trauern, als mit den Eltern, die unter der Last des Kummers täglich zu zerbrechen drohten, während Amy Kraft aus der Arbeit im Lazarett zog und trotz allem das Leben zu bejahen vermochte.
    Ich stelle mir oft vor, er käme mich hier besuchen , schrieb sie Maya in einem Brief. Wie er mich schelten würde, dass ich gegen seinen Willen diese Arbeit tue und Schmerz und Leid sehe! Doch ich weiß auch, er würde genauso wenig wollen, dass wir in der Trauer um ihn versinken. Gerade er, der immer so fröhlich war, der es immer verstand, einem in der größten Trübsal ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, einen gar in lautes Lachen ausbrechen zu lassen, mochte einem kurz zuvor auch nicht danach zumute gewesen sein. Gerade er würde wollen, dass wir seiner zwar gedenken, aber das Leben auch wieder genießen, das er selbst so sehr geliebt hat. Du standest ihm so nahe, liebste Maya, in gewisser Weise sogar näher noch als ich – nicht wahr, Du gibst mir doch recht?
    Zwei Mal war Maya an dem Gedenkstein gewesen, der auf dem Kirchhof von St. Aldate’s an Jonathan erinnerte, wenn schon sein Leichnam in russischem Boden seine letzte Ruhestätte hatte finden müssen, ungleich all jener Generationen von Greenwoods, die hier begraben lagen, wie ihre beiden Großeltern Dr. John und Alice Greenwood, und auch Jonathans Mutter Emma, eine geborene Bailey. Doch die in schwarzen Marmor eingelassenen goldenen Buchstaben und Zahlen, die Gerald beim örtlichen Steinmetz John Gibbs in der Little Clarendon Street bestellt hatte, gaben Maya nichts; nicht annähernd so viel wie Jonathans Zimmer in Black Hall. Nach dem Willen ihrer Mutter unangetastet geblieben, schien hier die Zeit stillzustehen. Als träte Jonathan jeden Augenblick zur Tür herein und rügte seine kleine Schwester liebevoll, dass sie in seinen medizinischen Fachbüchern herumblätterte, wie es früher so oft geschehen war. Anfangs hatte es Maya nur wenige Augenblicke in diesem Raum ausgehalten; schwebte darüber doch ein ewiges, mahnendes Nimmermehr . Doch Maya zwang sich stets aufs Neue, es jedes Mal länger darin auszuhalten, dem »nie wieder« ein »weißt du noch?« entgegenzusetzen. Es zerriss sie fast, die Briefe in ihrer eigenen Handschrift auf seinem Schreibtisch wiederzusehen, die sein Vorgesetzter zusammen mit Jonathans persönlichen Habseligkeiten nach Black Hall gesandt hatte. Vor allem seine letzten Zeilen, die an sie gerichtet gewesen waren, die er nicht mehr hatte abschicken können, ehe die Krämpfe der Cholera ihm die Feder aus der Hand geschlagen hatten, bereiteten ihr unendlichen Schmerz. Dennoch nahm sie sich diese wiederholt vor, strich zärtlich mit den Fingerspitzen darüber, ehe sie sie sorgsam in einer Schublade des Tisches verstaute. Die Briefe, die er ihr nach Aden geschrieben hatte, legte sie dazu. Es schien ihr wie ein ganz besonderer Wink des Schicksals, dass diese Briefe ihres toten Bruders im Bungalow der Garnison ihre Abwesenheit unbeschadet überstanden hatten, während das geschriebene Wort der Lebenden, Ralphs und Richards, unwiederbringlich verloren gegangen war.
    Am meisten fehlten ihr die Gespräche mit ihrem Bruder. Ihm gegenüber hätte sie ihr Herz ausschütten können, dessen war sie sich sicher, ihm hätte sie von ihren Erlebnissen in Aden und auf dem Weg nach Ijar erzählen können, vom dortigen Palast. Und von Rashad. Von ihren Eindrücken, ihren Gefühlen, die ihr immer noch so wirr und unlogisch erschienen. Jonathan hätte es ihr geglaubt, jedes Wort, und sie für nichts, was sie getan hatte, verurteilt. Höchstens den Kopf geschüttelt, sie im Nacken gepackt wie eine Katze ihr Junges und in zärtlichem Spott gesagt: »Tsss, also Maya, du liederliches Weibsbild – schämst du dich wenigstens?«
    Nur in Gedanken konnte sie sich ihm

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