Unter dem Safranmond
streichelte. Bestürzt darüber, dass sie ihrer älteren Schwester mit ihrer unbedachten Äußerung offenbar eine solch große Kränkung zugefügt hatte, redete Angelina ohne Punkt und Komma auf Maya ein, die mit hektischen Bewegungen wieder in ihr Kleid stieg. »Das ist doch nicht schlimm! Du bist doch längst aus dem Alter raus, in dem der Umfang deiner Taille nicht die Anzahl deiner Lebensjahre überschreiten sollte! Ein Grund mehr, dir neue Sachen anfertigen zu lassen, die passen dann auch gleich viel besser!«
»Tut mir leid«, murmelte Maya, »wir verschieben das Maßnehmen, ja? Ich fühle mich nicht gut und muss mich hinlegen.«
»Maya«, rief Angelina ihr bedrückt hinterher. Doch diese war bereits die Treppen hinaufgerannt, als sei der Teufel persönlich hinter ihr her. Angelina stand noch einen Augenblick lang unschlüssig vor dem Feuer, knabberte auf dem Nagel ihres Zeigefingers herum, bis sie schließlich mit den Achseln zuckte und sich wieder ganz in den Vorstellungen von einer neuen, standesgemäßen Garderobe erging. Innerhalb von Minuten war sie erneut ins Zusammensuchen von Farben und Mustern vertieft und hatte Mayas Kümmernisse schon vergessen.
Letztere indes krakelte mit zitternden Händen am Schreibtisch in ihrem Zimmer Zahlen auf ein Blatt Papier, rechnete und rechnete erneut. Es musste Anfang Juni gewesen sein, dass Rashad sie durch die Wüste der Ramlat as-Sabatayn geführt hatte – vor fast fünf Monaten also. Nicht mehr lange, und sie würde ihren Zustand kaum mehr verbergen können. Keine Sekunde in jenen zwei Nächten hatte Maya daran gedacht, dass diese schwerwiegende Folgen für sie haben könnten. Hatte sie sich doch unfruchtbar geglaubt, ihren Schoß verdorrt, nach einem Jahr Ehe mit vielen durchliebten Nächten, ohne dass sich eine lebensfähige Empfängnis angekündigt hatte. Niemand wird es je erfahren …
Wäre es nicht so bitter gewesen, hätte es zu Gelächter gereizt ob dieser wahnwitzigen Ironie. Doch nun wuchs Rashads Kind in ihrem Leib heran und würde bald unübersehbar ihre Schande und Schuld verkünden. Maya presste die Faust vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihrer Kehle aufbrandete. Mein Leben ist ruiniert .
5
Der wohl größte Vorteil daran, volljährig und mit einem abwesenden Mann verheiratet zu sein, bestand darin, dass man niemanden mehr um Erlaubnis bitten musste, wie Maya feststellte, als sie am nächsten Morgen beim Frühstück verkündete, für ein paar Tage zu Tante Elizabeth nach Bath fahren zu wollen. Ihr Vater war wie gewöhnlich während des Trimesters schon längst aus dem Haus, zur Morgenandacht und zu den Vorlesungen am Balliol College. Angelina hatte sie mit großen Augen über ihrem Brötchen angeblickt, und Marthas Teetasse war auf der Hälfte des Weges zurück zur Untertasse stehen geblieben. Ihr Mund hatte eine schmale Linie gebildet, bis er sich wieder entspannte.
»Fahr ruhig, mein Kind. Es wird dir sicher gut tun«, hatte sie zu Mayas Verblüffung ruhig erwidert und die Tasse sanft abgesetzt.
Dieses Mal per Telegramm vorgewarnt, hatte Tante Elizabeth sie schon vor der weiß gestrichenen Tür mit dem Rundbogenfenster darüber und der aufgefächerten Umrandung aus grob genarbten Schlusssteinen erwartet. Nach der Begrüßung, die wie immer warmherzig ausfiel, war Maya in Einsilbigkeit verfallen, bis Betty ihnen im Salon Tee serviert und sie wieder allein gelassen hatte.
Tante Elizabeth nippte vorsichtig am noch heißen Getränk und sah ihre Nichte über den Rand der Tasse mit Rosendekor und Goldrand hinweg an.
»Was führt dich denn heute so überstürzt zu mir?« Ihr entgingen weder Mayas unruhig umherhuschende Augen noch die Art, wie diese ihre Finger ineinander verschränkte und löste, sie knetete und faltete.
»Ich habe etwas Furchtbares getan, Tante«, flüsterte Maya, ohne sie direkt anzusehen.
Unter normalen Umständen wäre dies ein Satz gewesen, bei dem eine Mrs. Hughes sich bemüßigt gefühlt hätte, dessen Dramatik mit einer scherzhaften Erwiderung aufzubrechen und abzuschwächen. Doch der Klang von Mayas Stimme, die Art, wie sie zusammengesunken ihr gegenüber auf dem Sofa saß, ließen keinen Zweifel daran, dass sie sich in höchster seelischer Not befand. Und so schwieg Elizabeth Hughes taktvoll, um Maya in ihrem vorsichtig tastenden Gang über das dünne Eis des Vertrauens nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. »Ich erwarte ein Kind.«
Tante Elizabeths Augendeckel klappten in rascher Folge auf
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