Unter dem Safranmond
Engländerinnen. Um Frau und acht Kinder satt zu bekommen, verdingte er sich als Fremdenführer und besorgte auch Unterkünfte. Meistens handelte es sich um alleinstehende Damen, die im fortgeschrittenen Alter noch etwas erleben wollten, sich zu Grüppchen zusammentaten oder in Begleitung ihrer Töchter und Nichten reisten, immer aber mindestens ein Dienstmädchen dabei, und mit jedem Jahr nahm ihre Anzahl zu. Sie kamen, um das orientalische Flair der Stadt zu erleben, die Pyramiden zu besichtigen und eine Bootsfahrt nach Luxor zu unternehmen oder einfach um einen unterhaltsamen Zwischenaufenthalt auf ihrem Weg von oder nach Indien einzulegen. Mit Frauen, die in Begleitung ihrer Gatten anreisten, hatte er kaum zu tun, da die Gentlemen immer selbstbewusst auf Begleitung verzichteten und ohnehin alles besser wussten. Engländerinnen waren im Grunde alle gleich: Sie bevorzugten Häuser mit Säulen, Mosaikfußböden, bestanden auf Wandmalereien und fließendem Wasser. Sie trugen große Hüte oder Tropenhelme, über die sie ein Tuch geworfen hatten, und ihre Sonnenschirme benutzten sie zusammengeklappt wie einen Säbel, um sich durch die Menschenmengen eine möglichst breite Schneise zu bahnen. Das Essen durfte nicht zu scharf sein, und Hassan musste geduldig bleiben, auch wenn er zum dreiundzwanzigsten Mal erklären musste, warum einer Bürgerin des British Empire nicht überall Zutritt gewährt wurde, wo sie ihn begehrte. Dass er die Trennung in Männer- und Frauenbereiche mit der englischen Sitte der den Männern vorbehaltenen Clubs begreiflich machte, half zwar beim Verständnis, sorgte aber meist für einstweilige Verstimmung – und, wenn Hassan Pech hatte, für mageres Trinkgeld.
Doch die vier Ladys, denen er heute das schmale, hohe Haus im lärmenden Herzen der Stadt zeigte, entsprachen in ihrer Gesamtheit nun gar nicht seinen Vorstellungen. Gut, ein Dienstmädchen hatten sie dabei, das erkannte er mit seinem geschulten Blick sofort. Auch die ältere Dame in Witwentracht, energisch und zielstrebig, war ungefähr, was er erwartet hatte. Hübsch, ausnehmend hübsch, war die eine der beiden jüngeren Frauen, mit ihrem goldschimmernden Haar und den großen blauen Augen. Der gut zweijährige Junge auf ihrem Arm gehörte ganz offensichtlich zu der Vierten im Bunde – und diese irritierte Hassan gehörig. Sie trug ebenfalls englische Kleidung, ebenfalls Witwentracht, aber sie sah wenig englisch aus, mit ihrem gebräunten Teint und ihren Augen wie dunkler Bernstein. Eine Koptin vielleicht? Oder eine Spanierin oder Italienerin? Dazu passte aber weder ihr fehlerfreies Englisch, in dem sie sich mit den anderen unterhielt, noch das Arabisch, in dem sie sich mit Hassan verständigte. Hocharabisch, aber mit einem Einschlag darin, der von jenseits des Bab el-Mandeb zu stammen schien.
Vor allem wurde Hassan ganz unruhig, als er sah, mit welch kritischen Augen sie die Sprünge im Fußboden musterte, die schadhaften Mosaiken, Rohre und Leitungen mit zumindest zur Schau getragener Kennermiene betrachtete. Sonst wurden kleine Fehler oder Abnutzungserscheinungen immer mit dem Ausruf »Hach, wie pittoresk!« bedacht. Hassan räusperte sich und deutete auf eines der Fenster im hinteren Teil des Hauses. »Und von hier aus kann man in den Innenhof sehen.«
Diese Mrs. Garrett warf kurz einen Blick hinaus, wanderte dann aber weiter durch die hohen Räume, hinaus auf den kleinen Balkon, wo sie am schmiedeeisernen Geländer rüttelte, ehe sie die hölzernen Fensterläden überprüfte. Hassan unterdrückte ein Stöhnen.
»Wie viel soll es kosten, sagtet Ihr?«, wandte sie sich unvermittelt an Hassan. Dieser nannte den Preis. Mrs. Garrett lächelte und schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu viel.« Und wortlos hob sie die Hand, zeigte mit emporgereckten Fingern, was sie bereit war zu zahlen.
Sogleich fing Hassan an zu jammern: »Aber das Haus ist viel mehr wert! Es ist ein gutes, altes Haus, mit Sorgfalt erbaut!«
Seine mögliche Kundin lachte. »Ich sehe, dass es alt ist! Hier muss viel repariert und erneuert werden.« Erneut hob sie ihre Hand und gab zu verstehen, was ihr das Haus wert war.
»Denkt auch an mich und meine Kinder«, versuchte er an ihr Mitgefühl zu appellieren, was meist gut funktionierte bei Engländerinnen. »Wenn ich dem Hausherrn nicht den vollen Preis bringe, gibt auch er mir weniger Geld. Wovon soll ich dann meine Kinder ernähren?« Er setzte sein treuherzigstes Gesicht auf. Mrs. Garrett schüttelte mit
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