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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Elternhaus Richtung London verlassen hatte.
    »Ausgeschlossen, viel zu gefährlich!«, setzte Gerald sogleich hinzu und schob entschlossen seinen Teller von sich und nickte seiner Schwester mit ernster Miene zu. »Auch für dich, meine liebe Elizabeth!«
    »Und schmutzig, ganz bestimmt«, pflichtete Martha ihm bei und blickte dann entsetzt ihre Tochter an. »Du denkst doch nicht etwa daran, den Jungen mitzunehmen? Nein, Maya, das kann ich nicht zulassen, auf keinen Fall! Er wird sich furchtbare Krankheiten einfangen, und es ist dort auch viel zu heiß für ihn! Und Ungeziefer gibt es dort auch! Nein, Maya, das werde ich nicht zulassen!«
    Eine hitzige Debatte entzündete sich am Esstisch der Familie Greenwood, die bis in die Nacht hinein dauerte.
    »Cairo?« Amy Symonds verschluckte sich am Rest ihres Teekuchens und griff hastig nach ihrer Tasse, um die verirrten Krümel gründlich hinabzuspülen und ihre gereizte Kehle zu beruhigen. Aus großen, hellblauen Augen blickte sie ihre Freundin über das Spitzentaschentuch hinweg an, hinter dem der Hustenanfall abebbte. »Ach, wie ich dich beneide!«, seufzte sie, als sie das Taschentuch in ihren Ärmelsaum schob. Ihr Blick verschleierte sich, als sie ins Träumen geriet. »Cairo, das klingt … das klingt nach Sonne und Hitze, nach alter islamischer Architektur. Nach lebhaften Märkten … nach … ach, nach einfach allem, was Oxford nicht ist!«
    Nachdenklich musterte Maya sie. Noch immer war Amy die schöne junge Frau, der sie früher auf den gesellschaftlichen Anlässen der Stadt hin und wieder begegnet war. Mit ihrem herzförmigen Gesicht von makellosem, blassrosa Teint und dem schweren, glatten Haar in der Farbe von besonders gutem Honig das Sinnbild einer English rose . Derart schön, dass die Gentlemen der Stadt sich um sie rissen, obwohl sie – mit sechsundzwanzig zwei Jahre älter als Maya – mittlerweile auch das Alter hinter sich gelassen hatte, in dem sie als optimale Partie gelten konnte. Vom frühen Tod ihrer Mutter geprägt, den ihr Vater nie hatte verwinden können, wie Maya in einem Haus aufgewachsen, dessen Fundament auf Büchern und Bildung ruhte (wenn auch noch zusätzlich auf dem – wenn auch niedrigen – Stand des Landadels), hatte sie nie zur Oberflächlichkeit geneigt. Doch Jonathans Tod und ihre Zeit in Scutari hatten sie verändert.
    »Weißt du«, begann sie nachdenklich, »als ich von der Krim zurückkehrte, war ich erst so froh und dankbar, wieder eine warme Stube zu haben. Ein weiches Bett. Genug zu essen. Meine Güte, uns fehlte es zeitweise am Allernötigsten im Lazarett, Patienten wie uns Schwestern! Es war einfach kein Geld da. Auch wenn es nicht sonderlich christlich klingt: Ich war froh, wieder in eine heile Welt zurückzukehren. Ohne Verwundete, ohne Schwerkranke und Sterbende. Ohne Blut und stinkenden Wundbrand und verstümmelte Gliedmaßen. Aber«, sie atmete tief durch, »nach einiger Zeit war da dieses Gefühl der Enge. Meinem Vater den Haushalt zu führen, die Dienstboten anzuleiten, in der Kirchengemeinde Basare und Konzerte zu organisieren, Teepartys besuchen … Das kann doch nicht alles sein! Oxford ist …« Sie überlegte. »Seit ich wieder hier bin, kommt mir mein Leben vor wie ein Kleid, aus dem ich längst herausgewachsen bin. Gleich, wie eng ich die Schnüre des Korsetts anziehen lasse, die Luft anhalte, mich klein zu machen versuche – es passt einfach nicht mehr.«
    Beide schwiegen eine Zeitlang, jede in ihre eigenen Gedanken versunken. Bis sie gleichzeitig begannen: »Ich wage es kaum, dich zu fragen, ob du –   « – »Gewiss vermessen von mir, aber könntet ihr euch vorstellen –   « – »Tante Elizabeth hat bestimmt nichts dagegen, und ich schon gleich –   « – »Ich könnte mich auch mit dem Kleinen nützlich –   « – »Sonst sähen wir uns nur noch alle paar –   «
    Sie brachen in Gelächter aus, und Amy presste kichernd die Hand vor den Mund, ließ sie dann sinken.
    »Würdet ihr mich wirklich mitnehmen?«, fragte sie vorsichtig, als fürchtete sie, dieser Einfall sei nichts weiter als eine Seifenblase, die bei der geringsten Berührung zerplatzt.
    »Cairo!«, ereiferte sich Frederick Symonds einige Tage später, denen ungewohnt heftige Diskussionen mit seiner Tochter in ihrem eleganten Haus in der Beaumont Street vorausgegangen waren. »Warum ausgerechnet Cairo?!«
    Gerald Greenwood schälte sich aus seinem Sessel, klopfte dem Chirurgen mitfühlend auf die Schulter und schickte

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