Unter dem Safranmond
Toastecken und Kräutercreme her, über bunte, mundgerechte Häppchen mit Käse und Roastbeef und Schinken, garniert mit kunstvollen Gemüseschnitzereien. Man stürzte sich auf den Hummersalat, auf knusprig gebratene Hühnerbeine und Lammkoteletts in Papiermanschetten und natürlich nicht zuletzt auf die Weine aus Edward Drinkwaters scheinbar unerschöpflichen Kellern. In der äußerst geräumigen Eingangshalle standen Stühle die Wände entlang aufgereiht, unterbrochen von den Türrahmen, deren Türblätter ausgehängt worden waren. Aus einem der angrenzenden Räume erklang die Musik eines kleinen Kammerorchesters, das zum Tanz aufspielte. Im nächsten konnten die Damen ihre Hüte, Schals und Capes ablegen und sich vor den beiden Standspiegeln drängeln, um sich frisch zu machen, und ein Zimmer weiter politisierten die älteren Gentlemen bei Brandy und Zigarren.
Maya war so leicht und frei zumute, dass sie ebenso ausgelassen wie ihre Cousinen und die anderen jungen Damen der Gesellschaft lachte und schwatzte. Ihre Augen strahlten, und sie schien von innen heraus zu leuchten, als ob ihre Haut Funken sprühen würde, sobald man sie berührte. Plötzlich herrschte auch kein Mangel an jungen Gentlemen, die Maya zum Tanz aufforderten; und wer von ihnen sie von früheren Teekränzchen und Tanzabenden her kannte, wunderte sich, wie er Maya Greenwood je für einen langweiligen Bücherwurm hatte halten können. Selbst der mehr als gut situierte und durchaus passabel aussehende William Penrith-Jones, den Tante Dora eigentlich im Hinblick auf ihre beiden jüngsten Töchter Mabel und Clara eingeladen hatte, der aber den ganzen Tag um Angelina herumscharwenzelt war, geriet urplötzlich ins Schwanken, welcher der beiden Greenwood-Töchter er den Vorzug geben sollte.
»Fast könnte ich eifersüchtig werden«, sagte Ralph, als auch er endlich an der Reihe war, Maya auf die Tanzfläche zu begleiten.
»Dazu besteht kein Grund«, lachte sie, als sie mit ihm im Dreivierteltakt durch die Halle kreiselte. Ihre Berührungen beim Tanz, an den wenigen Stellen, an denen es gestattet war – Hände, Rücken, Schulterblatt, und nie größer als eine Handfläche – lösten ein sehnsüchtiges Ziehen in Maya aus.
»Dann weißt du nicht, wie zauberhaft du aussiehst«, flüsterte er ihr ins Ohr, so nahe, dass es kaum mehr schicklich zu nennen war. »Sobald wir die Einwilligung deiner Eltern haben, fahren wir zusammen nach Gloucestershire. Meine Familie wird dich auf der Stelle ins Herz schließen. Wie ich … und doch nicht annähernd so sehr.« So zärtlich klangen seine letzten Worte, dass Maya schwieg, um deren Nachhall in ihrem Innersten nicht vorzeitig zum Verstummen zu bringen. Sie sah ihn nur an, und vor ihr entrollte sich ihr zukünftiges Leben, hell wie die Kerzenflammen der Wandleuchter, funkelnd wie die geschliffenen Kristalltropfen des Lüsters über ihr und bunt wie der Farbwirbel der Kleider um sie herum. Der Walzer mit Ralph, dieser Tag hätten ewig dauern mögen, und doch sehnte sie mit aller Macht den nächsten Tag herbei.
In dieser Nacht, als Maya in ihrem Zimmer in Black Hall schlief, erschöpft und herzensselig, suchte ein Traum sie heim, den sie schon oft gehabt hatte: Sie kauerte in einer der Vitrinen ihres Vaters, und die Türen waren versperrt. Ihre Rufe um Hilfe, ihre Schreie drangen nicht nach draußen – abgefangen durch die dicken, welligen Scheiben. Es gab keinen Raum, sich auszustrecken, nicht einmal genug Platz, um auszuholen und das Glas zu zerschmettern. Selbst die Luft wurde knapp. Jedes Mal war sie schweißgebadet aus diesem Traum aufgeschreckt, angstvoll um Atem ringend und mit rasendem Pulsschlag. Doch in dieser Nacht tauchte eine Silhouette jenseits der Glaswände auf, golden verbrämt durch gleißendes Sonnenlicht, das Maya blendete. Aber sie fürchtete sich nicht, denn sie hörte ein feines, metallenes Klingeln, wie von einem Schlüsselbund, und sie wusste: Gleich würde sie frei sein.
10
Ruhelos ging Maya am folgenden Nachmittag in ihrem Zimmer hin und her, drückte und knetete ihre kalten Hände. Sie wanderte von der Tür zum Fenster und wieder zurück, immer begleitet vom Rascheln ihrer Röcke und dem Klacken ihrer Absätze. Und jedes Mal, wenn sie dabei ihren Sekretär passierte, blieb ihr Blick am Ziffernblatt der Uhr hängen, die gleichmütig vor sich hin tickte. Einmal hätte Maya schwören können, dass der große Zeiger sich gar wieder um einige Teilstriche zurückgeschlichen hatte –
Weitere Kostenlose Bücher