Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
Vom Netzwerk:
mir, wenn sich Deine Sinne an die Stille einer Reise durch die Wüste angepasst haben, wirst Du wahrhaftige Qualen erleiden, sobald Du in den Trubel der Zivilisation zurückkehrst. Die Luft der Städte wird Dich ersticken, und die abgehärmten und leichenhaften Gesichtsausdrücke der Einwohner werden Dich verfolgen wie eine Vision des Jüngsten Gerichts … Der Schleier, das einzig Kokette an der Tracht der Frauen, verbirgt grobe Haut, fleischige Nasen, breite Münder und fliehende Kinne, während es sehr vorteilhaft das hervortreten lässt, was in diesem Land fast immer strahlend und klar ist – das Auge …
    Doch es genügte Maya nicht mehr, die lockende Fremde durch Richards Worte zu erleben oder durch die Erzählungen Jonathans; sie wollte sie mit ihren eigenen Sinnen erfahren. Zorn schoss in ihr empor, aus Machtlosigkeit gezeugt und durch Enttäuschung geboren, ungerecht und wahllos in seinem Ziel. Mit fahrigen Bewegungen suchte sie ein leeres Blatt hervor, tunkte den Federhalter in die Tinte und jagte die Stahlspitze über das Papier.
    Black Hall, den 19. März 1854
    Mein lieber Richard,
    ich danke Dir für Deine Zeilen. Ich bin jedoch voll freudiger Ungeduld, Dir mitzuteilen, dass es hier wunderbare Neuigkeiten gibt: Ich habe mich verlobt
    Sie hielt inne, strich den letzten Teilsatz durch und setzte dahinter:
    Ich werde heiraten
    Der Federhalter hob sich an, sank in Mayas Hand leicht zur Seite, als sie auf diese drei Worte starrte und unwillkürlich schlucken musste. Sosehr sie sich gesehnt hatte, diese zu schreiben, so erschreckend endgültig sahen sie nun aus, schwarz auf weiß. Wie ein Weg ohne Wiederkehr, und dennoch armselig verglichen mit dem, was Richard zu schreiben hatte.
    Erschrocken fuhr sie zusammen, als in der sonntäglichen Stille des Hauses unten eine Tür zuschlug und sie gleich darauf erregte Stimmen im Garten hörte. Achtlos warf sie die Feder hin, die beim Aufprall einen Sprühregen feiner Tintentröpfchen über den Schreibtisch spritzte, und stürzte zum Fenster. Sie sah Ralph, wie er in langen Schritten den Kiesweg hinabmarschierte, heftig gestikulierte und sich einen sichtbar hitzigen Wortwechsel mit Jonathan lieferte. Dieser lief neben Ralph her, packte ihn schließlich an der Schulter und schüttelte ihn, ehe er mit gleichmäßigen, beruhigenden Handbewegungen auf ihn einredete, als sie stehen blieben. Ralph hörte zu, die Hände in die Hüften gestemmt, schüttelte abwechselnd den Kopf und nickte, fuhr sich dann mit allen Fingern durch das Haar und atmete tief durch. Mayas spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Es musste ein Zerwürfnis zwischen ihren Eltern und Ralph gegeben haben, aber Maya fiel kein Grund ein, weshalb sie seinen Antrag hätten ablehnen sollen. Sie hatte die Hand schon am Fenstergriff, als es klopfte. Hazel stand in der Tür und knickste. »Mr. und Mrs. Greenwood wünschen Sie unten im Salon zu sehen, Miss Maya.« Maya konnte nur beklommen nicken und ihr folgen, mechanisch gelenkt, wie eine Marionette mit schwachen Gliedern.
    Auf der anderen Seite des Korridors stand in der halbgeöffneten Tür Angelina, die wie Maya nach dem Kirchgang nach oben geschickt worden war. An der erschrockenen, beinahe mitfühlenden Miene ihrer jüngeren Schwester konnte Maya ablesen, dass Angelina nicht die geringste Ahnung hatte, was geschehen war und was diesem Aufruhr im Haus vorangegangen sein mochte. Aber sie ahnte wohl ebenso wie Maya selbst, dass ihr unten im Salon nichts Gutes bevorstand.
    »Hazel, was –   « setzte Maya flüsternd auf der Treppe an.
    Doch das Dienstmädchen schüttelte den Kopf, die Miene steinern, ihr Blick jedoch weich. »Es tut mir leid, aber ich darf Ihnen nichts sagen, Miss Maya.«
    Die Art, wie Hazel mit den Fingerknöcheln an die Tür zum Salon pochte, Mayas Ankunft anmeldete, mit einer Förmlichkeit, die es in dieser Weise in Black Hall sonst nicht gab, ließ sich Maya wie einen unerwünschten Gast fühlen und nicht, als sei dies ihr Zuhause. Und genauso trat sie nun über die Schwelle, den Blick auf den orientalischen Teppich vor sich gerichtet und knickste, ehe sie vorsichtig die Lider hob.
    Ihre Mutter saß, der Türseite zugewandt, aufrecht in einem der Sessel und betrachtete ihre im Schoß gefalteten Hände, während Gerald Greenwood sich auf den Kaminsims stützte und, auf dem Mundstück seiner kalten Pfeife kauend, in das knisternde Feuer starrte.
    »Ihr wolltet mich sprechen«, durchbrach Maya heiser die unangenehme Stille, die ihr wie ein

Weitere Kostenlose Bücher