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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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aber natürlich wusste sie, dass so etwas unmöglich war. Und auch die Kirchturmuhr von St. Giles, deren beständiger Glockenschlag sonst den Tag abzählte, schien heute unzuverlässig und launisch. Beinahe eine Stunde schon war Ralph nun mit ihren Eltern im Salon, und noch immer hatte niemand nach ihr geschickt. »Warum dauert denn das so lange?«, murrte sie vor sich hin und beruhigte sich gleich darauf selbst: Bestimmt geht es noch um das Datum, es müsste ja schon bald sein … Sicher besprechen sie schon alle Einzelheiten und Formalitäten … Um sich zur Ruhe zu zwingen, setzte sie sich an den Sekretär und tat einige tiefe, gleichmäßige Atemzüge. Richards winzige, schwer zu entziffernde Handschrift sprang ihr ins Auge. Ein neuer Brief von ihm, der ebenso achtlos liegen geblieben war wie der vorige, und bislang ebenso unbeantwortet. Es war Ralph, der es ihr so schwer machte, Richard zu schreiben. Maya hatten bislang der Mut und die richtigen Worte gefehlt, um Richard von ihm zu erzählen. Sicher auch, weil ihr zu kostbar erschien, was zwischen Ralph und ihr war, zu zerbrechlich. Abergläubisch fürchtete sie, es zu zerstören, zog sie jemanden darüber ins Vertrauen – ganz besonders Richard Burton.
    … wie Du am Absender unschwer erkennen kannst, bin ich innerhalb Bombays umgezogen. Das Haus namens Bel Air im Stadtteil von Mazagaon gehört James Grant Lumsden, einem angesehenen Ratsmitglied der Verwaltung von Bombay. Er war so freundlich, mir diese luxuriöse Unterkunft anzubieten, damit ich hier ungestört weiter an meinem Manuskript über die haj arbeiten kann. Wir haben uns auf dem Schiff von Aden nach Bombay kennengelernt. Ich war noch in arabischer Kleidung gereist, mit dem grünen Turban eines hajji, zusammen mit meinem afrikanischen Diener Salmin und einem arabischen Butler. Lumsden bemerkte zu seiner Begleitung über mich, welch schlaues Gesicht »jener Araber« doch habe, und ich wandte mich um und sprach ihn auf Englisch an … Weiterhin versuche ich jede Möglichkeit zu nutzen, die Unterstützung der Royal Geographical Society zu erlangen, um endlich eine Expedition nach Somalia und Ostafrika planen zu können, und ich hoffe, Lumsden wird mir dabei die eine oder andere Tür öffnen können …
    Bitterkeit wallte in Maya auf. Offenbar hatte Richard nicht einmal bemerkt, dass sie seinen letzten Brief nicht beantwortet hatte, und es schien ihn auch nicht zu kümmern. Genauso wenig, wie er sich danach erkundigte, wie es ihr ging, was in ihrem Leben geschah. »Natürlich nicht«, rief sie halblaut, mit sarkastischem Unterton, »was sollte in meinem Leben auch geschehen! Ich bin eine brave Tochter, die zuhause zu sitzen und zu warten hat, bis sich irgendein Mann ihrer erbarmt oder sie alt, runzelig und schrullig ist!« Während Richard in Bombay saß, über seine Pilgerfahrt nach Arabien schrieb und Forschungsreisen nach Afrika plante. Dinge, die Maya nur verwehrt blieben, weil sie eine Frau war. Orte, die sie allein durch den Klang ihrer Namen betörten und durch das, was sich für Maya dahinter verbarg: Indien, das funkelnde Juwel in der Krone des britischen Empire, mit seinen Farben und der Pracht und Herrlichkeit der Moguln und Maharajas. Afrika, wild, unbezähmbar, erbarmungslos; der »Schwarze Kontinent«, nicht nur wegen der Hautfarbe seiner Menschen so genannt, sondern auch wegen der Gefahren, die in seinem noch unerforschten Herzen lauerten. Arabien, geheimnisvoll und verboten, hinter den schmalen Küstenstreifen ein noch weißer Fleck auf der Weltkarte. Das sagenumsponnene Land der Königin von Saba, reich an mit Gold aufgewogener Myrrhe und Weihrauch. Das Land der Scheichs und Sultane, der Kalifen und Beduinen, der Kamele und Dromedare. Und das Bild, das man im Okzident vom Osmanischen Reich hatte, warf auch sein schummrig rotgoldenes Licht auf das unbekannte Land, von dem ein Teil immer noch Konstantinopel unterstand: Exotisch-pittoresk wie die auf samtbezogenen Ottomanen lasziv hingegossenen Leiber der Odalisken auf den Gemälden Ingres’, verlockend und abstoßend zugleich, auf ewig gefangen in der Zeit.
    Richard hatte es mit eigenen Augen gesehen, das fremde Land:
    Es ist seltsam, wie der Geist von einer Landschaft unterhalten werden kann, die so wenig zu bieten hat, das ihn beschäftigen könnte. Vom Himmel, schrecklich in seiner makellosen Schönheit und der Prächtigkeit eines mitleidsloses blendenden Scheins, streichelt einen der Wind wie ein Löwe mit flammendem Atem … Glaub

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