Unter dem Safranmond
Soldaten zusammengerufen, um sich mit ihnen zu beratschlagen. Nachdem sich alle ehrerbietig begrüßt und sich mit untergeschlagenen Beinen auf den bunten Teppichen niedergelassen hatten, die den glatten Kalksteinboden bedeckten, wurde der erste Durst mit Tee gelöscht, der Hunger mit Speisen gestillt, die auf silbernen Platten und in kleinen Schüsseln in der Mitte standen: kubaneh , ein aus Teigkugeln in einem abgedeckten Topf gebackenes Brot, mit brauner Kruste und aus seinem Inneren noch dampfend, dazu zhoug , eine Paste aus im Mörser zerstoßenen und verrührten Pfefferschoten, Knoblauch, Petersilie, Kardamom, gewürzt mit Pfeffer und Salz, und shafuth , Sauermilch mit scharfen Bohnen und Kräutern. Es gab geröstetes Huhn und Lamm zu Reis und Melone. Zum Abschluss labte man sich an Datteln und bint al-sahn , einem aus mehreren kreisrunden Teigplatten zusammengesetzten Kuchen, mit zerlaufener Butter und Honig.
Durch die schmalen, hohen Fensteröffnungen der beiden Längsseiten zog würzige Abendluft herein. Öllampen aus gehämmertem Silber verbreiteten ein kupfernes, bewegtes Licht, ließen die mit Ornamenten bemalten Wände lebendig erscheinen, wie ein Wald voller Blätter und Blüten, durch die ein Windhauch strich. Der Sultan wartete geduldig, bis seine Gäste sich satt gegessen hatten, wie es Brauch war, bediente sich nur hier und da selbst mit einem Häppchen und ließ derweil seinen Blick über die Männerrunde schweifen, die sich in dem großen Raum im Herzen des Palastes eingefunden hatte. Die Gesichter der Sheikhs, vierzehn an der Zahl, hart, vom Wetter gezeichnet und graubärtig wie sein eigenes, waren ihm so vertraut wie die Gesichter seiner ebenfalls anwesenden Söhne, als seien die Sheikhs seine Brüder. Nur die variierenden Farben und Muster der langen Gewänder und Turbane verrieten ihre voneinander abweichenden Ahnenreihen. Sultan Salih empfand sich selbst als das Oberhaupt einer Familie, der Familie von Ijar, für deren Wohlergehen er Sorge zu tragen hatte. Und waren sie denn nicht eine einzige Familie, seit ihre Vorväter nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft durch Mamelucken, Tahiriden und Rasuliden schließlich vor über zweihundert Jahren zu den Waffen gegriffen und die Osmanen vertrieben hatten? Mit den Klingen ihrer langen Schwerter ebenso wie mit den Musketen, die die Türken mit ins Land gebracht hatten – verboten für arabische Hände, und doch hatten sie die Feuerwaffen in ihren Besitz bringen und die Osmanen damit vernichtend schlagen können. Seither waren deshalb ihre Schwerter und die djambia genannten Krummdolche Symbole wehrhafter Tradition, Gewehre und Patronengurte aber Insignien kämpferischer Macht. Und während die Gebiete nördlich von Aden zwar nominell noch immer zu Konstantinopel gehörten, aber von Imamen der Dynastie der Zaiditen regiert wurden, waren hier im Süden, östlich von Aden, auf den Ruinen der antiken Königreiche von Saba, Ma’in, Qataban, Ausan, Himyar und Hadramaut entlang der alten Weihrauchstraße die achtzehn Sultanate entstanden, deren Land schon zu Zeiten Ptolemäus’ Arabia felix, »glückliches Arabien«, genannt worden war.
Die fremden Dynastien hatten, noch zu Lebzeiten Mohammeds, nicht nur den Glauben an Allah gebracht, sondern wenig später auch das Heilige Buch des Korans, besondere Elemente in Architektur, Kunst und Musik, ihre Sprache und ihre Schrift. Doch man war stolz auf die althergebrachten Traditionen, auf die Stammesgesellschaft und ihre Gesetze, die keine ausländische Macht auszurotten geschafft hatte – nicht einmal das große Osmanische Reich. Geblieben war aber auch ein grundlegendes Misstrauen jeglichem Fremden gegenüber. Wer nicht hier geboren war, nicht durch sein Blut oder eigene Leistung seinen Platz im komplizierten Gefüge von Stamm und Familie gefunden hatte, hatte hier nichts zu suchen. Das galt ebenso für europäische Wirrköpfe, die diesen weißen Fleck auf ihren Karten zu vermessen und beschriften versuchten, wie für Narren, die sich berufen fühlten, aus purer Abenteuerlust die Wüste der Rub al-Khali zu durchwandern. Und dementsprechend beunruhigt sah man die Anwesenheit der Engländer in Aden und die Bindung der nächstgelegenen Sultanate an den europäischen Vorposten im Land, zusätzlich zu den dadurch entstandenen finanziellen Einbußen.
»Vier Jahre sind es nun«, sprach der Sultan also, als sich die Männer einer nach dem anderen wieder aufgerichtet, ihre jeweils rechte Hand von den Essensresten
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