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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Reichtum immer neue Innenhöfe und Räume an die bestehenden anbauen lassen. In seinem Kern war noch der ursprüngliche Zweck des Gebäudes erkennbar: eine uneinnehmbare Festung, die über die Reichtümer des Landes wachte und über die Wege, auf denen diese in die benachbarten Sultanate und in die Häfen der Küste gebracht wurden. Von den Türmen aus konnte man seinen Blick in alle Himmelsrichtungen schweifen lassen, die in Ijar die Gegensätze Arabiens in sich vereinten: Im Süden und Westen türmten sich Berge und Felsplateaus auf; im Norden begann die Wüste Ramlat as-Sabatayn, ein Ausläufer der gewaltigen Rub al-Khali. Im Osten hingegen lag das fruchtbare Land, das Ijar ernährte: Flussbetten und Seebecken, die während der Regenzeiten genug Wasser für Felder und Gärten führten, genug, um Viehherden prächtig gedeihen zu lassen und geschäftige Handwerkerstädtchen am Leben zu erhalten. Genug, dass Ijar große Teile seiner Ernten und seiner Erzeugnisse gegen klingende Münze ausführen konnte: die bunten, feingewebten Baumwollstoffe, die Stickereien und die kunstfertigen Silberschmiedearbeiten, für die Ijar so berühmt war.
    Doch Sultan Salih fand keinen Gefallen mehr daran, von einem der Türme aus den Blick über sein Reich schweifen zu lassen. Sorgen bedrückten ihn; Sorgen, die den Stolz auf das, was sein Blick erfasste, schmälerten und bitter schmecken ließen. Nein, hungern musste in Ijar niemand, al-hamdu li-illah , Allah sei gedankt! Aber der Wohlstand, den der Handel dem Land angedeihen ließ, schrumpfte von Jahr zu Jahr. Schuld daran waren die Engländer, die den gesamten Handel Südarabiens in Aden zusammengezogen hatten.
    Der neue Sultan von Lahej hatte sich von der britischen Niederlassung in Aden vor allem auch einen finanziellen Nutzen erhofft, sollte doch die Anwesenheit der Briten den gewinnträchtigen Handel mit und nach Indien anziehen. Denn fast alle Karawanenrouten Arabiens Richtung Aden führten über das Territorium von Lahej, abgesehen von einem schmalen Küstenstreifen auf Fadhli-Gebiet. Tatsächlich hatte er damit ein gutes Gespür bewiesen, denn die Stadt erlebte einen schnellen wirtschaftlichen Aufschwung, nicht zuletzt durch die stetig wachsende Garnison, für die neue Gebäude entstanden, deren Soldaten verpflegt werden mussten und die ihren Sold ausgeben wollten. Der Handel blühte; weniger mit dem zu früheren Zeiten durch Gold aufgewogenen Weihrauch oder mit Gewürzen wie Safran oder Pfeffer, sondern mit Kohle, Vieh, Getreide, Tierfutter, Obst und Gemüse und vor allem Kaffee. Kaffee, auf den sich französische Handelsreisende ebenso gierig stürzten wie amerikanische und ägyptische. So öde die vorgelagerte Halbinsel war, so fruchtbar war das Land dahinter, urbar gemacht durch ein uraltes, ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Lahej konnte daher hohe Wegzölle einstreichen, und als Haines dann noch auf die Idee verfallen war, 1850 Aden zu einem Freihafen zu erklären, in dem keine Zölle erhoben wurden, hatte dies gleich mehrere Vorteile: Die konkurrierenden Häfen von Shuqra, im Sultanat von Fadhli, und die des Sultans von Aqrabi in allernächster Nähe wurden aus dem Rennen um die Gunst der Händler geworfen. Aden bekam quasi das Monopol am gesamten Handel Südarabiens und der Sultan von Lahej noch mehr Wegzölle, außerdem einen Triumph über seinen Erzfeind Fadhli und so eine engere Bindung an die Engländer. Und nirgendwo zeigte sich der wachsende Wohlstand Lahejs und Adens so deutlich wie auf den Märkten und in den Geschäften Adens.
    Die anderen Häfen entlang der Küste aber lagen nahezu brach, und Ijar traf dies zusammen mit dem Sultanat von Bayhan besonders hart. Denn beide lagen am weitesten von Aden entfernt; ihre Waren hatten den längsten Weg über die meisten Sultanate und damit die höchsten Auslagen an Wegzöllen. Bis die Güter aus Ijar in Aden angelangt waren, war von der Gewinnspanne durch ihren Verkauf so gut wie nichts mehr übrig; da nützte es auch nichts mehr, im Hafen selbst den Zoll einsparen zu können. Zusätzlich hatte die Anzahl der Übergriffe durch Wegelagerer zugenommen; kriegerische Stämme, die bis an die Zähne bewaffnet unberechtigten Zoll verlangten oder gleich die Karawanen plünderten. Stämme, die ebenso wie der Sultan von Ijar von der veränderten wirtschaftlichen Lage durch die Politik der Engländer betroffen waren.
    Deshalb hatte Sultan Salih heute seine Sheikhs, die Ältesten der Stämme Ijars, und die Hauptmänner seiner

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