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Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes

Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes

Titel: Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Brack
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wissen, wer sie sei. Sie zeigte ihren englischen Pass und den Presseausweis. Mit deutschen Journalisten würden sie nicht reden, sagten die drei, mit einer Ausländerin schon, aber nur kurz.
    Sie erinnerten sich an den Holländer, der öfter hier herumgestreift sei. Kommunist sei er gewesen, aber keiner von der Partei. Im kommunistischen Verkehrslokal hätte er sich aufgehalten und offenbar viele Bekannte in der Gegend gehabt. Arbeitslose, vor allem organisierte. Da gäbe es ja den Ausschuss in der »Gaststätte Schlaffke«. Gewundert hätten sie sich, dass er einerseits mit den Kommunisten zusammen war und andererseits gegen sie geredet hätte. Wenn er hier vorm Amt die jungen Leute angesprochen hätte, dann sei es gegen die Parteien gegangen, die die Arbeiter verraten hätten. Nur die Arbeiter selbst könnten den Faschismus aufhalten, wenn sie in Massen protestieren und streiken würden, um das ganze Land lahmzulegen. Keine Politik sollten sie machen, sondern direkt die Macht ergreifen. Davon habe er immer wieder angefangen, der Holländer: Alle Parteien müssten weg, der ganze Staat tauge nichts, weil er nur zur Unterdrückung der Arbeiter da sei, das würde man ja schon hier bei diesem Amt sehen, dass es nur darum ginge, die Armen zu demütigen. Dabei hätten sie das Recht auf Brot und Kleidung, es würde ihnen alles nur verwehrt, damit sie schwach bleiben. Wenn die Massen sich aus eigener Kraft erheben würden, dann würde das alles hinweggefegt, und Parlamente und Abgeordnete und Parteien und Gewerkschaftsbürokratie bräuchte man nicht, man müsse es alles ganz anders machen, so wie in Russland, als der Staat und die Unterdrücker gestürzt und alles neu organisiert worden sei. Auf den Einwand, in Russland hätten sie doch einen Staat undeine Partei, hatte er gesagt, das sei aber anders und historisch vorgesehen, dass dieser Staat gar kein richtiger mehr sein kann, weil er sich von selbst umwandeln würde, denn wenn keiner da ist, der unterdrückt, dann geht die Maschine kaputt oder bekommt eine neue Existenz. Einmal hätte der Holländer davon gesprochen, der Staat würde sich verpuppen wie ein Insekt und am Schluss würde aus der hässlichen Hülle etwas schönes neues Lebendiges herauskommen, man könne sich gar nicht vorstellen, wie das dann sei, denn es sei eben ganz neu, aber auf jeden Fall ein geschichtlicher Naturprozess … Wirklich verstanden hätten sie nicht, was er damit meinte.
    Von Brandstiftung hätte van der Lubbe nie geredet, von Zerstörung und Gewalt schon, aber nur im politischen Sinn. Sie hätten allerdings den Eindruck gehabt, dass er heute hier und morgen da gewesen sei, und manchmal verschwunden. Etwas Handfestes hätten sie ihm nicht zugetraut, obwohl er erzählte, er hätte in Holland die revolutionäre Jugend organisiert. Eines jedoch glaubten sie alle drei nicht: dass er in der Lage gewesen sei, den Reichstag anzuzünden, ganz allein, mit Streichhölzern und Kohlenanzündern.

    In der Gaststätte Schlaffke stimmte was nicht. Das merkte Klara gleich, nachdem sie eingetreten war. Die wenigen Männer, die an den zerkratzten Tischen saßen, beäugten sie misstrauisch, der Wirt hinter dem abgewetzten Tresen grüßte abweisend mit einem knappen Kopfnicken. Es war kalt. Neben dem Ofen lagen Holzscheite, aber er schien nicht geheizt. Klara behielt wie die anderen Gäste ihren Mantel an. Sie setzte sich an einen Tisch nahe der Tür. An der Garderobe neben ihr hingen leere Zeitungshalter, auf einem in verblichenen Buchstaben der Schriftzug der Tageszeitung Berlin am Morgen . In die Tischplatte eingeritzt ein Sowjetstern mit Hammer und Sichel, kaum noch zu erkennen. Sie schautesich um. Keine Plakate oder sonstigen Zeichen, die deutlich machten, dass dies ein Verkehrslokal der Kommunisten war. Normalerweise fühlte Klara sich in solchen Kneipen zu Hause, aber hier herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Als hätte der Wirt absichtlich nicht geheizt, damit keine Gäste kamen.
    Sie rauchte, bestellte ein Bier, rauchte. Das Bier schmeckte sauer. Eine hagere Frau in verblichenem Kleid mit Strickjacke kam aus der Küche und stellte ein Glas mit Soleiern auf den Tresen. Dem Wirt schien das nicht zu gefallen, aber er sagte nichts. Die Frau griff nach einem Brotlaib, hielt ihn sich vor die Brust und säbelte mit einem langen Messer mechanisch Scheiben ab, die sie in einen Korb legte. Sie sagte etwas zum Wirt, der nun nach hinten ging. Durch das Fenster zur Küche konnte Klara sehen, wie er begann,

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