Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
in die Hosentasche gesteckt, damit der ganze Zauber auch in die richtige Richtung explodiert. Aber das pfeifen die Spatzen sowieso inzwischen von den Dächern, und bestimmt hast du das auch in deinem Bericht drin.«
»Ich hab alles reingeschrieben, was ich herausgefunden habe«, sagte Klara verbissen. Sie versuchte, ihre Verwirrung zu überspielen, und zündete sich eine weitere Zigarette an den Resten der ersten an. Marinus van der Lubbe, den seine Freunde als aufrichtigen Rebellen beschrieben hatten, ein Strichjunge?
Der RFB-Mann lachte. »Dann schreib noch das dazu, was ich herausgefunden habe!«
Es rumpelte an der Tür. Klara fuhr erschrocken herum. Mit wenigen Schritten war der Genosse an der Tür und riss sie auf. Drei Männer standen davor, verhaltenes Flüstern, dann das Kommando: »Ihr beiden kommt rein! Du gehst und sagst den anderen Bescheid!«
Die Tür knallte zu. Sie zogen die Bodenluke auf, die beiden Neuankömmlinge stiegen in den Keller.
Der Rotfrontkämpfer starrte sie an, verwirrt, orientierungslos, als würde er durch sie hindurchsehen. Er war blass geworden. Die beiden anderen rumorten im Keller.
»Was ist?«, fragte sie.
»Scheiße ist«, murmelte er. »Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.«
In der Bodenluke tauchte eine Kiste auf, wurde hochgestemmt. Der Rotfrontkämpfer ging in die Hocke und zog sie hoch. Dann stand er auf, die schwere Kiste auf den Armen, und wusste nicht, wohin. Klara sprang auf und schob einige Werkzeuge auf dem Tisch beiseite. Der Genosse wuchtete die Kiste darauf und stöhnte.
Klara baute sich vor ihm auf. »Ich versteh überhaupt nichts.« »Ganz einfach. Die SA rückt an.«
Dann muss ich weg, dachte Klara. »Und mein Bericht?«
»Nimm ihn wieder mit. Hau ab, und beeil dich!«
»Aber der muss dringend auf den Weg …«
»Komm morgen wieder … dann …« Er zuckte mit den Schultern.
Eine weitere Kiste wurde durch die Luke geschoben. Er sprang hin, um sie in Empfang zu nehmen.
Klara sah zu, wie er mit einem Stemmeisen die vernagelten Deckel löste. Alte Lappen, Holzwolle, Zeitungspapier, dazwischen Armeerevolver und Messer … in der zweiten Kiste Karabiner und Munition.
»Die waren schon mal hier. Damals hat es einen Toten gegeben … auf unserer Seite … Heute sind wir besser vorbereitet.«
Mit angespanntem Gesichtsausdruck griff er nach einem Gewehr, drehte sich jäh um, starrte zur Tür und murmelte: »Wo zum Teufel bleiben denn die anderen?«
Die beiden Männer im Keller stiegen jetzt wieder hoch und brachten eine dritte Kiste mit.
Draußen waren Stimmen zu hören. Jemand schlug mit der Faust gegen die Tür.
Der Rotfrontkämpfer riss die Tür auf und fünf Männer trampelten herein. Der Leiter schnappte sich einen von ihnen und schubste ihn zu Klara hin: »Bring sie raus. Sie ist Kurier.«
»Ich kann auch bleiben und helfen«, sagte Klara.
»Nee, wenn die ne Frau sehen, kriegen die erst recht Schaum vorm Mund.« Und leise fügte er hinzu, während er sie zur Tür schob: »Das kann auch ne Höllenfahrt werden, Mädchen, sieh dich vor … Wir haben Sachen gehört von denen, das glaubst du nicht und willst du nicht glauben …«
Draußen war es dunkel geworden. Der Mann, der sie wegbringen sollte, deutete nach rechts und hakte sich bei ihr unter. Im Laufschritt durchquerten sie die Laubenkolonie und gelangten an eine Tür im Bretterzaun, der an dieser Stelle offenbar kürzlich erst behelfsmäßig verstärkt und erhöht worden war. Ihr Begleiter öffnete ein Vorhängeschloss und hob einen Eisenbalken zur Seite. Dann zog er die Tür auf, hielt sie aber am Arm fest.
»Du bist doch ein Mädchen, oder?«, fragte er schüchtern. »Ja.«
»Dann gib mir ’n Kuss zum Abschied. Es wird vielleicht mein letzter sein.«
Klara tat ihm den Gefallen. Ausnahmsweise sogar gern.
Dann lief sie los. Hinter ihr krachte die Holztür zu.
Auf halbem Weg zur U-Bahn-Station kamen sie ihr entgegen. SA-Hilfspolizei. Mit Gewehren bewaffnet. Viererreihen. Im Gleichschritt. Klara nahm die Mütze ab, damit man sie als Frau erkannte und passieren ließ. Hinter der SA kam die Sipo mit Mannschaftswagen, und am Schluss vier Panzerwagen mit Maschinengewehren.
Du kannst nichts tun, du kannst nichts tun, führe deinen Auftrag zu Ende, sie wussten, was auf sie zukommt, der Kampf geht weiter …
Auf der harten kalten Bank im U-Bahn-Waggon, zitternd und atemlos, kam ihr das englische Lied wieder in den Sinn:
The people’s flag is deepest
It shrouded oft our martyred
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