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Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes

Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes

Titel: Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Brack
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Wohnungstür gegenüber dem Trockenboden. Hier roch die Luft besser, sogar nach frischer Wäsche. Die friert doch ein hier oben, dachte Klara und spürte einen eisigen Windhauch auf ihrer feuchten Stirn.
    Henßler klopfte, nichts tat sich. An der Tür kein Namensschild.
    »Er sollte hier sein.« Zweites Klopfen.
    Eine halbe Treppe tiefer ging die Klospülung. Henßler beugte sich übers Geländer. Die Tür wurde aufgezogen, eine grauhaarige Frau schlurfte nach unten.
    Drittes Klopfen. Henßler wurde ungeduldig. Er zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, daran hing auch ein Dietrich.
    Damit war die Tür problemlos zu öffnen. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Fußboden in der Küche, die gleichzeitig als Werkstatt zu dienen schien. Oder einmal gedient hatte. Es lagen Schuhmacher-Utensilien auf einer Kommode, Werkzeug in einer halb offenen Schublade, aber alles sah aus, als wäre es schon länger nicht mehr benutzt worden. Ansonsten ein paar Töpfe auf dem Herd und Geschirr auf einem Regal, teilweise schmutzig. Zwei Biergläser auf dem Tisch, neben dem der Tote lag, eins davon fast leer, das andere zu einem Drittel gefüllt. Der Gedanke lag nahe, dass Mörder und Opfer hier gemeinsam getrunken hatten. Seitlich im Hals des Toten steckte ein Küchenmesser, die große Blutpfütze deutete darauf hin, dass die Halsschlagader durchtrennt worden war. Auf dem Tisch und an der Wand waren Blutspritzer zu sehen. Unter einem abgenutzten Militärmantel mit Messingknöpfen schauten kniehohe Stiefel mit durchgelaufenen Sohlen hervor.
    »Franz?!« Henßler kniete sich neben die Leiche und drehte sie um.
    »Ist er das?«, fragte Klara. Unwillkürlich wandte sie sich zur Tür um. War da noch jemand?
    »Nein, das ist nicht Waschitzki«, murmelte Henßler und starrte gebannt auf das von zahlreichen Schnittwunden verunstaltete Gesicht.
    Klaras Blick fiel auf den Herd. Wieso lag da ein Amboss, der gehörte doch drüben in die Handwerkskiste neben der Kommode.
    Sie tat es nicht bewusst. Als das schwere Eisenteil auf Henßlers Hinterkopf fiel, kam es ihr vor, als wäre es ohne ihr Zutun dort hingekommen. Henßler fiel auf die Leiche und blieb regungslos liegen.
    Sie drehte sich um und verließ die Wohnung. Treppe, Hof, Straße, Kreuzung, Tram-Haltestelle, verständnislos dreinblickende Menschen, völlig apathisch wie Puppen, die man in ein Modell gestellt hat. Das Modell heißt Berlin, es solleine Hauptstadt darstellen, wir spielen ein Stück, das heißt Hitlerputsch, aber sei still, lass dir nichts anmerken, deine Rolle ist, Publikum zu sein, so zu tun, als seist du nur Zuschauer, auch wenn du auf der Bühne stehst. »An das handelnde Subjekt der Weltgeschichte: Nicht lachen! Die Lage ist ernst! Es gibt nichts zu tun!« Der Kabarettist Kurt Ritter hatte es 1930 für die Schauspielerin Klara Schindler geschrieben, die sich weigerte aufzutreten.
    In der Straßenbahn bemerkte Klara, dass der Muff noch immer mit der Kordel an ihrem Handgelenk hing. Aber wo war die Karte des Abgeordneten Dr. Albrecht? Sie fand sie in ihrer Manteltasche.
    Ohne dass sie es als ihr Ziel empfand, landete sie am Alexanderplatz und betrat das Postamt. Ein Brief lag dort für sie. Nur wenige Worte, hastig hingekritzelt: »Ergebnisse! Schnell! Zeugen! Beweise! Direkt nach Kopenhagen. Eilt!« Offenbar hatte niemand mehr die Zeit, sich klar auszudrücken. Was heißt »direkt nach Kopenhagen«, dass ich persönlich kommen soll? Ausgerechnet jetzt, wo meine Beine so bleiern schwer geworden sind? Und Ergebnisse … ja, natürlich … keine.
    Sie setzte sich auf einen Stuhl vor einem Schreibpult. Nur kurz ausruhen, nur kurz den Kopf auf die Arme legen, nur kurz schlafen.
    Sie wurde wachgerüttelt. Eine Uniform. Polizei.
    »Bitte, Fräulein, wenn Sie sich ausruhen möchten, nutzen Sie die Wärmehalle. Dies ist kein Aufenthaltsraum. Bitte gehen Sie!«
    Ja doch, warum nicht, es geht ganz leicht, man setzt einen Fuß vor den anderen und kommt voran … Jedenfalls bis zur nächsten Parkbank, die einladend herumsteht, leicht überpudert mit feinem Schnee, den der Wind über den Alex pustet.
    Kaum sitzt sie da, ist der Wachtmeister wieder zur Stelle.
    »Ich muss Sie mitnehmen, wenn Sie nicht vernünftig sind.« Klara stand auf. »Ich bin sehr vernünftig«, murmelte sie.
    »Vergessen Sie das hier nicht!«
    Ach ja, der Muff.

    »Wo hast du denn den her?«, fragte Genosse A, auch Otto genannt, überrascht und beinahe empört, als er die Tür aufriss und die halb

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