Unter dem Teebaum
Amber dafür sorgte, dass Emilia endlich ihren Schlaf bekam.
Danach setzte sie sich noch ein Weilchen auf die Veranda. Es war kühl, doch Amber hatte sich eine warme Strickjacke übergezogen. Sie konnte noch nicht einschlafen. Zu viele Eindrücke wirbelten durch ihren Kopf. Sie saß, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und betrachtete die Sterne.
Seit langer Zeit dachte sie wieder einmal an Jonah, ihren toten Liebsten. Bist du da oben?, fragte sie in Gedanken. Kannst du mich hören und sehen?
Sie wusste nicht, dass sie laut gesprochen hatte, und als plötzlich die Antwort: »Mach dir keine Hoffnung. Hier sieht und hört dich niemand«, erklang, schrak sie zusammen.
Steve stand hinter ihr. Amber sah ihm an, dass er betrunken war. Sein Augen waren rot unterlaufen, die Lippen hatte er fest zusammengepresst. Sie sah, dass er wütend war.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie.
Er antwortete nicht, sondern stützte sich schwer auf den Tisch und fixierte Amber mit zusammengekniffenen Augen.
Amber hielt seinem Blick stand. Sie schwieg jetzt. Er war gekommen, er würde schon sagen müssen, was er von ihr wollte.
Sie bemühte sich, so ruhig es ging zu atmen und dem sauren Biergeruch, den Steves Atem verströmte, zu entgehen.
»Dein Vater hat wieder Freude am Leben, nicht wahr?«, fragte er lauernd.
Amber nickte. »Ja, ich freue mich sehr darüber. Peena leistet gute Arbeit.«
»Ich werde sie wegschicken müssen«, erwiderte Steve.
Bist du ihrer überdrüssig, hätte Amber am liebsten gefragt, doch sie ließ es.
»Warum?«
»Wir werden sie nicht mehr brauchen.«
Steves Gesicht, fand Amber, sah hässlich aus. Nein, nicht hässlich, sondern bösartig.
»Was meinst du?«, fragte sie und bemühte sich um einen bewusst freundlichen Ton. »Warum glaubst du, dass wir Peena nicht mehr brauchen werden?«
»Weil dein Vater in der Hölle wohl niemanden mehr braucht, der ihn pflegt.« Steve grinste, als er Ambers Schrecken sah.
Amber richtete sich kerzengerade auf. Das Herz schlug in einem schnellen Rhythmus, doch sie achtete darauf, dass Steve nichts von ihrer Bestürzung merkte.
»Mein Vater lebt und erfreut sich einer recht stabilen Gesundheit. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was darauf hindeutet, dass er bald sterben könnte«, sagte sie so ruhig sie konnte.
»Habe ich vom Sterben gesprochen? Oh, nein, Täubchen, du irrst dich. Mit der Hölle meinte ich das Gefängnis.«
»Was soll das, Steve? Ich habe alles getan, was du verlangt hast. Ich habe dich geheiratet, ich habe dir ein Kind geboren, ich habe sogar meinen Sohn nach Sydney geschickt. Was soll ich denn noch tun?«
»Du machst anderen Männern schöne Augen und zeigst der ganzen Welt, wie du mir Hörner aufsetzt.« Steve spuckte die Worte in Ambers Richtung.
Amber schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht. Ich mache niemandem schöne Augen. Und ich habe mir – im Gegensatz zu dir – in puncto Treue nichts vorzuwerfen.«
»Und was ist mit dem verfluchten Doc? Hast du nicht mit ihm getanzt? Hast du nicht mit ihm gelacht und dich an seiner Seite gespreizt, während ich wie ein Trottel am Tisch saß?«
Er richtete sich auf und funkelte sie an. »Jeder konnte sehen, wie deine Augen gestrahlt haben, wie du deine Brüste gereckt hast, wie du mit ihm geflirtet hast.«
Amber verspürte weder Schuld noch Reue. Plötzlich war ihr alles gleichgültig. Sie war dem Leben, das sie hier auf dem Gut führte, sie war ihrer Ehe, ihrem kranken Vater, allem, allem so überdrüssig, dass sie kaum Worte dafür fand.
»Und?«, fragte sie müde und gleichgültig. »Was willst du jetzt tun? Was verlangst du von mir?«
»Das kann ich dir sagen. Ab sofort hat dieser Arzt Hausverbot auf Carolina Cellar. Er und seine verfluchte Mutter ebenfalls. Du wirst dich auch nicht anderswo mit ihm und Margaret treffen. Wenn jemand krank wird, holen wir den alten Dr. Smith aus Hahndorf. Ist das klar?«
Amber nickte. »Ja, es ist klar. Und wenn ich nicht gehorche, dann zeigst du meinen Vater wegen Mordes an.«
Steve tätschelte ihr hämisch die Wange. »Gut! Du hast mich endlich einmal verstanden. Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass du auch entsprechend handelst.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging ins Haus. Kurz darauf sah Amber, wie das Licht in Peenas Zimmer ausging.
Warum?, dachte sie, als sie allein auf der Veranda saß. Warum? Lieber Gott, was habe ich getan, dass du mich so strafst?
Zwei Tage später kam Ralph zu Besuch. Er hatte eine Haarspange für
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