Unter dem Teebaum
Amber mitgebracht und reichte sie ihr mit einem freudigen Gesicht. »Für dich. Als Dankeschön für den wunderschönen Tanz mit dir.«
Amber fühlte, wie sie errötete. Sie nahm die Spange, die von einem Silberschmied gefertigt und mit Steinen in den schönsten Farben besetzt war. Am liebsten wäre sie Ralph um den Hals gefallen. Sie sah sich nach allen Seiten um, da entdeckte sie Steve, der mit dem Rücken an der Wand der Maschinenhalle lehnte und sie beobachtete.
Amber schüttelte den Kopf und gab Ralph die Spange zurück. Laut sagte sie: »Vielen Dank. Das ist sehr freundlich, aber es gehört sich wohl nicht für eine verheiratete Frau, von einem anderen Mann Geschenke anzunehmen.«
Ralph sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Aber, Amber«, sagte er verwundert. »Es ist die Spange, die du dir schon so lange gewünscht hast.«
Amber versuchte, Ralph mit den Augen ein Zeichen zu machen, doch er sah es nicht. Steve stieß sich von der Mauer ab und kam langsam zur Veranda geschlendert.
Er hatte ölverschmierte Hände, die er an einem alten Tuch abwischte.
»Alles klar?«, rief er schon von Weitem, und es klang nicht besonders freundlich.
Ralph winkte ihm zu: »Ich wollte mich für den Tanz am Samstag in Hahndorf bei Ihrer Frau bedanken, Steve.«
Steve war inzwischen herangekommen. Er legte einen Arm demonstrativ um Ambers Schulter und sagte: »Das haben Sie ja nun getan, nicht wahr? Hat Ihr Besuch sonst noch Gründe?«
Ralph stand da wie ein gescholtener Schuljunge. Wut flammte in Amber auf. Nein, alles durfte Steve sich nicht leisten.
»Ich habe Dr. Lorenz gerade ein Glas Minzlimonade angeboten. Er wird durstig sein. Es ist heiß heute.«
Steve funkelte Amber wütend an, doch er konnte nichts dagegen sagen. Es war ein Gebot der Gastfreundschaft, jedem, der kam, etwas zu trinken anzubieten.
Steve knurrte noch einmal, dann ließ er sich in den Verandasessel sinken und verkündete: »Ich glaube, ich habe mir ebenfalls eine Pause verdient. Es wäre nett von dir, Täubchen, wenn du mir auch ein Glas bringen würdest.«
Ralph sah zwischen Amber und Steve hin und her, dann nahm er seine Tasche. »Vielen Dank. Ich bin nicht durstig. Es ist wohl besser, wenn ich mich gleich auf den Heimweg mache.«
Er nickte Steve zu, dann ging er mit steifen Beinen die wenigen Stufen von der Veranda herunter und fuhr kurze Zeit darauf mit seinem Lieferwagen davon.
Die Spange steckte in der Tasche seines Jacketts.
Das Klingeln des Telefons riss Amber aus dem Schlaf. Sie nahm den Hörer ab.
»Amber, bist du es?«, fragte Ralph am anderen Ende der Leitung.
»Ja, natürlich. Das Telefon steht neben meinem Bett. Was ist? Warum rufst du an? Es ist … warte …«, sie angelte nach dem Wecker. »Es ist zwanzig Minuten vor vier.«
»Ich weiß, wie spät es ist. Aber ich musste dich unbedingt sprechen. Was war los heute? Warum war dein Mann so merkwürdig? Warum wolltest du meine Spange nicht annehmen?«
Amber überlegte fieberhaft. Sie liebte Ralph. Sie wollte ihm nicht wehtun. Niemals wollte sie das. Aber sie konnte ihm nicht sagen, dass Steve sie erpresste. Nein, niemand durfte davon erfahren. Das war eine Sache zwischen Walter, Steve und ihr. Mord verjährte nicht. Und gerade in dieser Zeit, in der die Aborigines an Einfluss gewannen, würden sie einen Mord an einem der ihren ganz bestimmt verfolgen und dafür sorgen, dass der Täter mit aller Härte bestraft wurde. Ein Mord an einem Schwarzen galt heute als verbrecherischer als ein Mord an einem Weißen. Neben den vier Tatmotiven Habsucht, Gier, Eifersucht und Neid kam bei einem Aborigine-Mord noch der Rassismus hinzu. Es war gleichgültig, dass inzwischen siebzehn Jahre seit jener Nacht vergangen waren, und es war ebenfalls gleichgültig, dass Walter Jordan ein fünfundsiebzigjähriger Mann im Rollstuhl war.
Die Regierung Australiens hatte die Aborigines so lange unterdrückt und in ihren Rechten beschnitten, dass sie nun zu glauben schien, durch besondere Härte des Gesetzes einen Teil der Schuld abtragen zu können.
Aber warum musste sie diese Rechnung bezahlen?, fragte sich Amber nicht zum ersten Mal in dieser Nacht. Und wieder kam ihr ein Gedanke, für den sie sich zutiefst schämte: Warum starb Walter Jordan nicht endlich? Warum ließ er nicht sein Leben, damit sie endlich mit ihrem Leben beginnen konnte? Es gab keine Antwort auf diese Frage. Das wusste Amber, aber je länger sie dieses Leben mit Steve führte, desto dringender wünschte sie sich den
Weitere Kostenlose Bücher