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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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die Türen standen offen und knarrten leise im Wind. Auch die Schlafplätze unter dem Teebaum lagen verlassen im Dunkel der Nacht. Wo waren die Eingeborenen?
    »Wo seid ihr?«, schrie Amber. »Hilfe! So kommt doch! Hilfe!«
    Alles blieb still. Es schien, als wäre das Gut von einem Augenblick auf den anderen zu einer unbewohnten Ödnis geworden. Nicht einmal die Vögel sangen, keine wilden Hunde heulten durch die Nacht, nur der Mond stand am Himmel und tauchte alles in ein kaltes Licht.
    Amber stand einen Augenblick still, dann rannte sie zurück zum Weinkeller. Sie stolperte, stürzte, ihre Knie begannen zu brennen, ein scharfer Schmerz durchzuckte ihren Körper, doch schon hatte sie sich aufgerappelt und rannte, rannte, rannte …
    Die gespenstische Stille, die vom Weinkeller aus zu ihr drang, ließ sie mitten im Lauf stoppen. Angst kroch ihr den Rücken hinauf. Amber begann zu zittern wie im Schüttelfrost. Ihre Knie wurden weich, und bei jedem Schritt taumelte sie.
    Steves Hund lag vor der Tür und winselte leise. Sein Schwanz bewegte sich langsam hin und her.
    Ein wenig Licht drang aus dem Keller durch die angelehnte Tür nach draußen. Noch immer war alles ganz und gar ruhig. Doch die Ruhe hatte nichts Besänftigendes an sich, nichts Leichtes. Im Gegenteil: Die Stille legte sich wie ein Ring um Ambers Brust, beugte ihren Rücken, drückte auf die Schultern. Ein Schritt noch fehlte bis zur Kellertür.
    Amber hob ein Bein, doch plötzlich überkam sie eine solche Angst, ein solches Grauen, dass sie wie erstarrt stehen blieb, eine Hand nach der Kellertür ausgestreckt.
    Sie starrte auf die Tür, hoffte noch immer, dass alles dahinter gut und friedlich sein würde, doch die Ahnung des bevorstehenden Unheils hatte sich schon ganz und gar ihrer Sinne bemächtigt. Das Blut rauschte in ihren Ohren, vor ihren Augen verschwammen die Konturen. Sie wünschte, sie würde in Ohnmacht fallen. Einfach umfallen, um irgendwann wieder in ihrem Bett zu erwachen, während Aluunda ihr einen Tee brachte, der Vater auf einem Sessel neben dem Bett saß und Jonah zögernd in der Tür stand.
    Aber Amber fiel nicht in Ohnmacht. Überdeutlich nahm sie alles wahr, jede Regung, jeden Laut. An diesen letzten Schritt, das wusste sie mit sicherem Instinkt, würde sie ihr Leben lang denken. Dieser letzte Schritt, ein einziger Schritt nur, brachte sie von der alten, heilen Welt der Kindheit in die grausame Wirklichkeit des Erwachsenseins. Sobald ihr Fuß den Boden berührte, sobald die Hand die Kellertür aufstieß, würde nichts mehr sein, wie es war. Und das, was kommen würde, war schlimmer als alles, was sie bisher erlebt oder erdacht hatte.
    Langsam, ganz langsam, als gelte es noch irgendetwas, setzte sie den Fuß auf die Erde und machte gleichzeitig die Tür auf. Ihre Augen wurden groß, doch nun, da sie dem Unheil gegenüberstand, schwand die Angst. Eine tiefe Ruhe, beinahe eine Gleichgültigkeit, wie sie nur ein schwerer Schock hervorbringen kann, stieg in ihr auf.
    Vor ihr, auf dem steinigen Boden des Weinkellers, lagen die beiden Männer, die sie mehr als alles andere liebte. Walter Jordan hatte die Augen geschlossen, doch ein Stöhnen drang aus seiner Kehle. Von der Stirn lief ihm ein dicker Streifen Blut über die Augen. Seine Hand umklammerte eine Axt, an deren Scheide Blut und dunkle Haare klebten.
    Wenige Meter neben ihm lag Jonah auf dem Bauch, die Glieder verrenkt, wie eine zerbrochene Puppe. Sein Hinterkopf war zerschmettert. Blut und Hirnmasse quollen zwischen den dunklen Haaren hervor.
    Amber starrte auf die Wunde, doch sie fühlte nichts. Gar nichts. Es war, als wäre Jonahs Kopf ein leckes Gefäß, aus dem ein ganzes Leben herausfloss. Ihr war weder kalt noch warm, sie fühlte sich weder lebendig noch tot, spürte einen Nebel, der sie von allem abschnitt.
    Ein Fliege surrte heran. Als sie sich auf der blutigen Masse, die einst Jonahs Hinterkopf gewesen war, niederließ, schrie Amber auf.
    »Die Fliege!«, keuchte sie. »Die Fliege soll weg.«
    Immer wieder wiederholte sie diese Worte, als wäre die Fliege schuld an allem, was passiert war.
    Plötzlich spürte sie einen Arm um ihre Schulter, fühlte sich an eine Brust gepresst.
    »Sieh nicht hin. Es ist besser, wenn du nicht hinsiehst.«
    Amber erkannte die Stimme von Steve Emslie. Sie löste sich von ihm und starrte ihn an. »Was ist hier geschehen?«, fragte sie, wollte sie fragen, doch ihre Stimme brach.
    »Ich weiß es nicht. Da war der Kampf. Und dein Vater schrie:

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