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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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›Lass meine Tochter in Ruhe!‹ Jonah packte ihn und schüttelte ihn, doch plötzlich hatte dein Vater eine Axt in der Hand und schlug auf Jonah ein. Ich riss ihn weg, doch er war wie rasend. Ich wusste mir keinen Rat, als deinen Vater niederzuschlagen, um den Jungen zu retten. Es war zu spät. Der Junge war bereits tot.«
    »Willst du damit sagen, dass mein Vater Jonah erschlagen hat?«, fragte sie fassungslos.
    Steve nickte. »Es tut mir leid, Amber. Ich konnte es nicht verhindern.«
    »Wo war der Hund?«, fragte Amber und wusste nicht, wie diese Frage in ihren Kopf gekommen war. Als wäre der Hund wichtig! Als hätte es irgendetwas zu bedeuten, dass er nicht mehr im Keller war.
    »Wo war der Hund?«, wiederholte sie.
    Steve zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht darauf geachtet. Mein Gott, Amber, hier ist gerade ein Mensch zu Tode gekommen, und du fragst nach dem Hund!«
    Amber erwiderte nichts. Doch ihren Blick hielt sie fest auf Steves Gesicht gerichtet. Sie wartete auf eine Antwort.
    »Ich weiß nicht, wo der blöde Köter war«, entgegnete Steve. Amber sah die dicke Ader auf seiner Stirn anschwellen und konnte sich nicht erklären, warum er plötzlich so zornig wurde.
    »Wahrscheinlich wurde die Tür während des Kampfes aufgestoßen, und der Hund lief hinaus oder was weiß ich!«
    Amber nickte. Dann öffnete sie die Tür und rammte einen Keil unter das Holzblatt. Einen kurzen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, als löse sich hinter dem nahen Baum ein Schatten und huschte in die Dunkelheit, doch sie achtete nicht darauf und ging zurück. Das kalte Mondlicht fiel in den Weinkeller und genau auf das Gesicht ihres Vaters. Er bewegte sich, stöhnte, hielt sich den Kopf, richtete sich auf und starrte auf die Axt in seiner Hand.
    »Was … was ist geschehen?«, fragte er benommen und sah Hilfe suchend zu Amber.
    Amber starrte ihn an, unfähig, etwas zu sagen. Ihre Hand aber wies auf Jonah.
    Walter Jordan rappelte sich hoch, trat zu dem Jungen und rüttelte an seiner Schulter.
    »Mein Gott, was war hier los?«, fragte er und sah diesmal zu Steve Emslie.
    Der Verwalter breitete die Arme aus und schüttelte den Kopf. Dann fragte er: »Warum haben Sie ihn getötet? Warum haben Sie ihn erschlagen? Mein Gott, er war doch nur ein Junge. Er war doch noch so jung!«
    Walter riss vor Entsetzen die Augen auf. Sein Mund öffnete sich, aber aus seiner Kehle kam kein Laut. Er sah von Amber zu Jonah, dann presste er eine Hand auf seine Brust.
    »Ich habe ihn getötet?«, flüsterte er leise. »Ich habe ihn getötet!«, sagte er lauter und voller Abscheu und ließ die Axt fallen.
    Amber war plötzlich weiß wie eine Wand geworden. Sie schwankte und wäre gefallen, hätte Steve sie nicht gehalten und auf einen Schemel gedrückt.
    Dann ging er zu Walter Jordan, fasste ihn an der Schulter und sagte: »Wir müssen ihn wegschaffen. Niemand weiß, dass er hier gewesen ist. Wenn wir ihn nicht wegbringen, gibt es Krieg mit den Aborigines in ganz Barossa Valley. Und Sie kämen wegen Mordes ins Gefängnis.«
    »Aber … aber … sollten wir nicht einen Arzt rufen?«, stammelte Walter Jordan und starrte auf den toten Jungen.
    »Nein. Kein Arzt. Er ist tot. Jeder hier weiß, dass der Junge seit Wochen verschwunden ist. Es wird ihn niemand vermissen. Wir müssen ihn begraben. Wir müssen schweigen, wenn wir Schlimmeres verhüten wollen. Die Macht Orynangas ist groß. Er wird Ihnen den Fluch des weißen Knochens schicken, wenn er erfährt, dass der Junge getötet worden ist.«
    Steve Emslie bückte sich, packte Jonah unter den Armen und hob seinen Oberkörper an.
    »Schnell, nehmen Sie die Beine. Wir schaffen ihn an den Rand der Weinberge. Dort ist bereits gelesen. Vor dem nächsten Frühjahr wird dort niemand etwas zu suchen haben. Los, jetzt kommen Sie doch.«
    Jordan stand wie betäubt auf und griff nach Jonahs Beinen. Gemeinsam schafften sie den Toten aus dem Keller.
    Amber saß noch immer auf dem Schemel. Sie war unfähig, sich zu bewegen, hatte das Grauen noch nicht in aller Deutlichkeit erfasst. Doch als der Hund hereinkam und Jonahs Blut aufleckte, nahm sie den Schemel und schlug damit nach dem Tier. Dann lief sie hinaus, lief ihrem toten Liebsten hinterher.
    Der Verwalter und Jordan hatten bereits damit begonnen, eine Grube auszuheben. Jonah lag auf dem Boden, seine toten Augen starrten den Mond an.
    Amber kniete sich neben ihn, nahm sein Gesicht in ihre Hände und sprach leise auf ihn ein. Es waren sinnlose

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