Unter dem Teebaum
fand das Jod nicht.
»Ich habe gestern mit Saleem Eukalyptussaft gemacht«, sagte Jonah schüchtern. »Der Saft ist gut zur Säuberung und Desinfizierung von Wunden. Die Aborigines benutzen ihn seit Jahrhunderten.«
Ralph Lorenz sah hoch. »Das weißt du schon?«, fragte er erstaunt.
»Ja«, erwiderte Jonah. »Eukalyptus hat eine antisektische Wirkung.«
»Antiseptisch, Jonah. Es heißt antiseptisch«, erklärte der Arzt.
Jonah nickte und hockte sich hin. Er betrachtete die Wunde ganz genau. Dann fragte er: »Wenn man Eukalyptussaft auf die Wunde legt, dann bleibt sie sauber. Aber ein Verband ist notwendig. Der Stoff jedoch zieht den Saft auf. Es wäre also besser, ein Stück Stoff in den Saft zu tauchen und auf die Wunde zu legen und anschließend das Bein zu verbinden.«
Ralph Lorenz hatte zugehört. Jetzt nickte er. »Ich habe kein Jod dabei. Wenn Joe einverstanden ist, könnten wir es mit deinem Saft versuchen.«
Joe nickte. Er war schon lange auf der Farm, und er mochte Jonah.
»Hey, Doc«, sagte er. »Scheint, als hätten Sie endlich einen Assistenten gefunden.« Er lachte. Ralph Lorenz aber blieb ernst und sah den Jungen aufmerksam an.
Jonah aber sprang auf und rannte nach seinem Krug.
Als er wiederkam, hielt der Arzt ihm ein Stück Mull hin. »Joe ist einverstanden, dass du heute die Behandlung übernimmst«, sagte er.
Jonah goss gewissenhaft ein wenig von dem roten Saft auf den Mull, dann tupfte er damit ganz vorsichtig die Wunde ab, ehe er das ganze Stoffstück mit dem Eukalyptussaft tränkte. Den Verband legte der Arzt an.
»Es kann sein, dass ich morgen keine Zeit habe, nach Joes Wunde zu schauen«, sagte er. »Bist du bereit, noch einmal ein wenig von deinem Heilmittel auf Joes Bein zu tupfen? Du musst aber sehr vorsichtig sein. Aluunda wird dir sicher beim Verbinden helfen.«
Jonah strahlte und nickte mehrmals hintereinander. »Ich werde mir große Mühe geben«, versprach er ernsthaft.
»Ich weiß, mein Junge. Ich weiß«, erwiderte Dr. Lorenz.
15
Ihren zwölften Geburtstag feierte Emilia als großes Fest. Aluunda hatte ihr einen Kuchen gebacken, und der Tisch im Esszimmer bog sich unter den Geschenken. Ihr Großvater hatte ihr ein dickes Buch geschenkt, von Amber bekam sie einen Kasten mit Malfarben. Jonah hatte für seine Schwester ein Kästchen aus Holz geschnitzt. Saleem hatte ihm dabei geholfen.
Nach der Schule brachte Emilia ihre Freundinnen mit. Amber und Aluunda hatten sich Spiele ausgedacht, und das Haus war von Lachen und Jubel erfüllt. Jonah war der Spielmeister. Er verstand es wunderbar, die kleineren Mädchen so zu behandeln, dass jeder Missmut sogleich erstickt wurde. Ja, er ließ sich sogar von ihnen schminken, war beim Blindekuhspiel bereitwillig die blinde Kuh und tat überhaupt alles, damit seine Schwester einen schönen Tag hatte. Und Emilia hing an ihrem Bruder, lachte so laut sie konnte und war einfach nur glücklich.
Bob hatte ein Lagerfeuer entzündet, und die Kinder hielten aufgespießte Würstchen darüber. Amber verteilte Kartoffelsalat, und Aluunda brachte selbst gemachte Mangolimonade.
Sie bemerkten kaum, wie Steve mit seinem Landrover die gekieste Auffahrt zum Gutshaus heraufkam. Er stellte den Wagen in der Maschinenhalle ab, kam leise hinter dem Haus hervor und stellte sich in den Schatten der großen Akazie, genau neben Saleems alten Korbsessel. Voller Abscheu betrachtete er die Szene. Sein Gesicht lag im Dunkeln, und so sah niemand, dass seine Augen kalt wie scharf geschliffene Diamanten funkelten.
Saleem hatte sein Didgeridoo geholt, Aluunda begann zu singen, Bob blies auf der Mundtrommel, und die Kinder fassten sich an den Händen und tanzten um das Feuer. Jonah wirbelte seine Schwester herum, bis sie vor Lachen japste.
Dann bemerkte sie ihren Vater, der sich ein Stück abseits hielt und mit grimmigem Gesicht der Veranstaltung zusah.
Plötzlich hielten alle inne. Das Lächeln auf den Gesichtern erstarb, Aluunda hörte auf zu singen, und Saleem ließ das Didgeridoo sinken. Bob entlockte der Mundtrommel noch einen schrägen Ton, dann steckte er sie mit einem verlegenen Lächeln in die Tasche.
»Oh, ich dachte, meine Tochter feiert heute ihren Geburtstag. Doch ich muss mich geirrt haben. Anscheinend findet hier gerade ein Niggerfest statt«, sagte Steve, und seine Worte kamen so schneidend, dass die kleinen Mädchen aus Emilias Klasse den Kopf senkten. Er trat aus dem Schatten des Baumes in den Lichtkreis des Feuers und sah jeden Einzelnen
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