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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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an.
    Emilia fing an zu weinen. Amber ging zu ihr, legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. Am liebsten hätte sie ihrem Mann eine Ohrfeige verpasst, doch sie wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.
    »Steve, bitte. Es ist ihr Geburtstag. Sie war gerade noch so glücklich«, sagte sie nur, doch ein Blick in sein Gesicht verschloss ihr den Mund. Sie kannte den Ausdruck seiner Augen. Sie glitzerten wie Eis. Kalt. Eiskalt.
    Amber wusste nicht, was sie tun sollte, doch schließlich klatschte sie in die Hände und rief: »Wer von euch möchte denn noch ein Stück Kuchen?«
    Die Kinder sahen kurz auf, dann senkten sie wieder die Köpfe und scharrten mit den Füßen. Bob stocherte mit einem Stock im Feuer, und Aluunda verschwand in der Küche.
    Jonah aber stand einfach nur da und sah zu seinem Stiefvater. Emilia tat ihm leid. Sie tat ihm unendlich leid, und er fühlte sich schuldig an ihrem Unglück. Gäbe es mich nicht, dachte er, dann könnte sie jetzt unbeschwert feiern.
    Er trat einen Schritt vor, trat fast vor seinen Stiefvater und sah ihm gerade in die Augen. »Du möchtest, dass ich hier verschwinde, nicht wahr?«, fragte er, doch er wartete die Antwort nicht ab. »Gut, ich gehe. Aber lass Emilia einen schönen Tag haben. Sie kann nichts dafür, dass es schwarze und weiße Menschen gibt. Und sie kann nichts dafür, dass du Schwarze nicht magst.«
    Im ersten Augenblick war Steve sprachlos. Er starrte seinen Stiefsohn an, als sähe er ihn zum ersten Mal. Der fast Vierzehnjährige, das bemerkte er jetzt beinahe mit Schrecken, war klug. Und er war nicht nur klug, sondern besaß die Gabe der genauen Beobachtung.
    Der Mann grinste so hämisch, wie es nur ging.
    »Bilde dir bloß nichts ein. Niemand hier nimmt dich so wichtig, dass du ihn stören könntest.«
    »Dann stört es also auch nicht, wenn ich gehe«, erwiderte Jonah ungerührt, gab Emilia einen Kuss und ging.
    Von Weitem hörte er, dass schon bald wieder ein fröhliches Lachen erklang. Er saß unter dem Teebaum, hatte die Arme um die Knie geschlungen. Ihm war zum Weinen, und er fühlte sich so einsam, als wäre er der einzige Mensch auf der Welt. Am liebsten hätte er Carolina Cellar für immer verlassen. Doch das ging nicht. Er wusste nicht, wohin. Sein Totem war im Outback verschollen, er hatte kein Geld, und die, die er mochte und liebte, waren hier.
    Er hatte sich so erwachsen gefühlt in den letzten Tagen, doch jetzt wurde er wieder zu einem kleinen Jungen. Er legte den Kopf auf die Knie und weinte.
    »Ich muss mit dir reden«, sagte Ralph Lorenz einige Tage später zu Amber.
    »Was ist? Hat sich jemand verletzt?«, fragte sie.
    »Nein, nein, das nicht. Komm, setz dich zu mir auf die Veranda. Margaret wird ebenfalls dazukommen und auch Walter.«
    Amber zog fragend die Augenbrauen hoch, doch dann ließ sie das Hauptbuch, in dem sie gerade die Geschäftsvorgänge der letzten Tage eingetragen hatte, sinken und erhob sich.
    Sie war froh, dass ihr Vater wieder da war, doch sie sorgte sich ein wenig um ihn. Er war blass, viel blasser als sonst. Und er schwitzte. Amber konnte sich nicht daran erinnern, ihn je schwitzen gesehen zu haben. Selbst im heißesten Sommer blieb seine Haut kühl. Sie wünschte, er ginge weniger auf Reisen, doch es gab niemanden, der an seiner Stelle die Touren in den Norden Australiens machen konnte.
    Sie folgte Ralph auf die Veranda, strich im Vorübergehen ihrem Vater über die Schulter. Dann setzte sie sich.
    Margaret sprach nicht lange um den heißen Brei herum. »Mit Jonah und Steve geht es so nicht mehr weiter«, sagte sie.
    Amber nickte. »Ich weiß«, erwiderte sie. »Jonah kommt mit Steve nicht zurecht.«
    »Oh, nein«, wurde sie barsch von Margaret unterbrochen. »Steve kommt mit ihm nicht zurecht. Der Junge wird von ihm gequält. Erst gestern sah ich zufällig, wie er ihm im Vorübergehen einen Schlag auf den Kopf gegeben hat, dabei hatte Jonah nichts anderes getan, als seinen Weg zu kreuzen. Er hasst das Kind. Warum auch immer. Jonah aber leidet. Er fürchtet sich vor Steve.«
    »Ich weiß«, sagte Amber. »Ich weiß das alles.«
    »Du weißt nicht genug, Amber. Du verschließt die Augen und bist froh, wenn du bestimmte Sachen nicht erfährst. Bob hat mir gesagt, dass Steve Jonah manchmal im Weinkeller einsperrt. Der Junge steht dort Höllenqualen durch. Niemand weiß, warum er sich ausgerechnet im Weinkeller so fürchtet, aber er tut es nun einmal.«
    Amber sah, wie ihr Vater noch blasser wurde. Er griff sich

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