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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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bekommen hätte.
    Im selben Moment spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. »Nicht, Missus. Tun Sie das nicht«, flüsterte jemand hinter ihr.
    Amber ließ die Stange los, ihr Blick wurde wieder klar. Sie schüttelte sich, als hätte sie Ungeziefer auf der Haut.
    Bob stellte die Stange zurück an die Wand, packte Amber am Ellenbogen und führte sie zurück auf die Veranda. Steve aber lehnte an einem Traktor, zog ungerührt eine Zigarette aus der Hemdtasche und zündete sie an. Er nahm einen tiefen Zug und wirkte ruhig. Doch jeder, der einen Wirbelsturm erlebt hatte, wusste, dass es im Auge des Sturmes immer ruhig war.
    Amber brauchte eine ganze Weile und zwei Gläser Weinbrand, ehe sie sich wieder gefangen hatte. Sie schämte sich, und sie konnte sich nicht erklären, was plötzlich in sie gefahren war. Ich wollte meinen Mann umbringen, dachte sie immer wieder und empfand Abscheu vor sich selbst.
    Margaret hatte Amber beobachtet. Sie sah, wie aufgewühlt die junge Frau war. Sie wartete eine Weile, dann sprach sie einfach weiter, als hätte Amber die ganze Zeit über mit ihnen auf der Veranda gesessen. »Wir, das heißt Ralph und ich, haben uns gedacht, dass es gut wäre, Jonahs Talente zu fördern. Er ist sehr klug, interessiert sich für vieles. In Adelaide gibt es ein Internat, das sich speziell um besonders kluge Kinder kümmert.«
    Margaret beugte sich über den Tisch und griff nach Ambers Hand. »Verstehst du?«, fragte sie. »Jonah ist ein ganz besonderer Junge. Er braucht Förderung. Er weiß viel mehr als die meisten in seinem Alter. Es wird Zeit, dass er seine Talente erkennt und auslebt. Ich habe keine Enkel und würde gern für Jonah das Schulgeld übernehmen.«
    Amber empfing dieses Angebot wie einen Schlag. Sie schüttelte den Kopf. War sie eine so schlechte Mutter, dass es andere Leute brauchte, die ihr sagen mussten, was ihrem Kind gut tat? Sie war so verwirrt, so beschämt, dass ihr keine Antwort einfiel.
    Hilfe suchend sah sie zu ihrem Vater.
    »Ich denke auch, dass ein Internat eine gute Lösung für Jonah wäre«, sagte Walter. »Das Schulgeld für ihn ist kein Problem. Ich habe genug Geld und genug Liebe für meinen schwarzen Enkel. Bisher war er zu klein, um allein in der Welt zu stehen. Wie sehr Steve ihn auch gequält hat, er brauchte sein Zuhause noch. Jetzt ist es vielleicht anders. Ich denke, wir sollten ihn fragen.« Er hielt inne, holte tief Luft und setzte hinzu: »Ich fühle mich schuldig, weil ich mich nicht genügend um ihn kümmern konnte. Ich war zu oft auf Reisen, um zu merken, was hier auf dem Gut vor sich ging.«
    Amber hatte das Gefühl, den Boden unter sich schwanken zu sehen. Sie war so aufgewühlt und beschämt, dass es sie nicht mehr in ihrem Korbstuhl hielt.
    »Entschuldigt«, sagte sie. »Aber ich muss erst einmal ein paar Schritte gehen.«
    Dann drehte sie sich um und ging die Treppe hinunter und hinauf in die Weinberge.
    Als sie außer Sichtweite war, begann sie zu laufen. Sie lief und lief und lief, hörte auch nicht auf, als das Seitenstechen ihr beinahe die Luft nahm. Sie keuchte, stolperte, fiel hin, blieb einfach liegen, mit dem Gesicht auf der Erde.
    Die Gedanken rasten wie Hubschrauber durch ihren Kopf: Ich wollte meinen Mann umbringen. Mein Vater darf nicht sterben. Ich muss meinen Sohn retten. Ich habe mich nicht genug um ihn gekümmert, habe seine Talente nicht erkannt, nicht bemerkt, wie Steve ihn gequält hat.
    Die Sonne ging langsam unter, der Himmel färbte sich orange, grau und schließlich schwarz, der Mond stieg auf, und die ersten Sterne begannen zu blinken.
    Amber aber lag noch immer auf dem Boden und atmete nur; ein, aus, ein, aus, ein, aus. Sie war so erschöpft von ihrem Leben, dass sie nichts anderes tun konnte. Nicht einmal weinen. Nichts von dem, was sie sich einmal gewünscht hatte, hatte sich erfüllt. Sie führte ein Leben ohne Liebe, sie führte ein Leben in Angst um ihren Vater und ihren Sohn. Sie war keine gute Tochter, war eine schlechte Ehefrau und eine noch schlechtere Mutter. Sie hatte weder genug Zeit für ihre Kinder noch für ihre Arbeit. Es gab nichts, was sie gut und richtig machte.
    Sie war ständig auf der Hut, ständig in Spannung, kam nicht einmal nachts zur Erholung, sondern wurde von schrecklichen Träumen heimgesucht.
    Sie war müde. Todmüde. Aber nicht von den Anstrengungen des Tages, sondern von den Anstrengungen des Lebens, das sie führte. Es muss etwas geschehen, dachte sie. Irgendetwas muss ich tun. Allmählich wurde

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